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Wasserstoff

Interview
„Aktuell bleibt noch viel Potenzial ungenutzt!“
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Alexander Trattner ist seit November 2018 Leiter der HyCentA Research GmbH, zuvor war er dort seit 2015 technischer Direktor. Er beschäftigt sich im Rahmen seiner Tätigkeiten mit Forschungs- und Entwicklungsthemen der Herstellung, Verteilung, Speicherung und Anwendung von Wasserstoff.

„Große Ziele wie die Einbremsung des Klimawandels sind nur dann erreichbar, wenn alle Rädchen ineinandergreifen.“

Die Energiewende ist für HyCentA-Geschäftsführer Alexander Trattner ohne Wasserstoff undenkbar. Ein Gespräch über rechtliche Hürden und Problemstellungen, die Refinanzierung dringend benötigter Investitionen und „Low Hanging Fruits“ im öffentlichen Personen- und Nahverkehr.

Stand: Jänner 2021

Herr Trattner, Wasserstoff könnte eine Hauptrolle bei der Energiewende spielen, fristet aber nach wie vor ein Nischendasein, immer noch stammen zwei Drittel unserer Energie aus fossilen Quellen. Sehen Sie zumindest eine langsame Bewegung in Richtung Wasserstoff, eine Entwicklung in die richtige Richtung?
Aktuell deckt Wasserstoff ein bis zwei Prozent des weltweiten Energieverbrauchs, er wird aber fast ausschließlich aus fossilen Energieträgern hergestellt – primär aus Methan. Das kann natürlich nicht der Weisheit letzter Schluss sein, allerdings bemerken wir aktuell ein steigendes Bewusstsein dafür, dass die Herstellungsprozesse grüner werden müssen. Das ist etwa an den Anlagenkapazitäten ablesbar, die deutlich steigen. In Österreich wurde beispielsweise 2015 am Standort der OMV Gasstation Auersthal die erste 100-Kilowatt-Pilotanlage eröffnet, in der mittels Elektrolyse Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt wird. Seitdem sind einige weitere und auch größere Anlagen dazugekommen, weitere sind in Planung.

Der Markt ist also in Bewegung?
Definitiv. Man denkt jetzt vermehrt auch nicht mehr über Kilowatt-Anlagen nach, sondern über Megawatt- und sogar Gigawatt-Anlagen und genau in diese Richtung muss es auch gehen, wenn die Pariser Klimaziele erreicht werden sollen. Ich bin dahingehend sehr optimistisch, weil nun auch die weltgrößten Energiekonzerne begonnen haben, in den Bereich zu investieren, was nicht nur Umsetzungen beschleunigt, sondern auch eine große Symbolwirkung hat.

Sehen Sie Wasserstoff tatsächlich in einer Hauptrolle, wenn es um die Erreichung der Klimaziele geht? Oder wird die Bedeutung überschätzt?
Es wird ohne Wasserstoff nicht gehen. Wollen wir die Klimaziele erreichen, dann braucht es einen weiteren Ausbau von Wasser-, Wind- und Sonnenkraft. Dadurch bekommen wir es aber mit immer größeren Energiemengen zu tun, die zeitlich nicht flexibel sind und zwischengespeichert werden müssen. Wasserstoff ist dafür geradezu prädestiniert. Mit stillgelegten Erdgaskavernen und Salzlagerstätten verfügen wir dafür auch bereits über ausreichend große Speicherstätten.

Wie kann es gelingen, die Entwicklung in Richtung Wasserstoff in den kommenden Jahren zu beschleunigen? Braucht es mehr Innovationen und Umsetzungspläne oder mehr finanzielle Mittel, um vorhandene Technologien und Ansätze realisieren zu können?
Ehrlicherweise braucht es beides. Große Ziele wie die Einbremsung des Klimawandels sind nur dann erreichbar, wenn alle Rädchen ineinandergreifen. Dazu müssen wir einerseits vom Planen vermehrt ins Handeln kommen. Andererseits muss aber auch der Forschungs- und Entwicklungsbereich intensiviert werden. Nur so können wir Technologien weiter vorantreiben und Lösungen für Probleme finden, die sich bei Umsetzungen zwangsläufig auftun werden. Voraussetzung dafür sind aber wiederum mehr finanzielle Mittel – ohne die wird es in keinem Fall gehen.

Mehr Mittel, die sich aber zu einem großen Teil über ausgelöste Steuer- und Abgabenaufkommen, eine höhere nationale Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze wieder refinanzieren würden, oder?
Eine aktuelle Studie des Economica Instituts für Wirtschaftsforschung zeigt, dass sich Investitionen in erneuerbare Energieträger und Wasserstoff tatsächlich mehr oder weniger selbst finanzieren und es in jedem Fall besser ist zu agieren als zu reagieren. Da, wo die Refinanzierung nicht sofort im Maßstab 1:1 gegeben ist, lösen die Investitionen zumindest eine zukünftige Wertschöpfung aus. Dazu kommt: Mit mehr Umsetzungen sinkt das Risiko möglicher CO2-Strafzahlungen – Investitionen rechnen sich damit doppelt.

Bevor investiert und die Infrastruktur ausgebaut werden kann, müssen aber erst noch einige rechtliche Fragen geklärt werden, oder?
Die rechtliche Situation war schon vor einigen Jahren ein Problem, mit der fortschreitenden Ausrollung der Technologie wurden zuletzt aber einige weitere Hürden augenscheinlich. Diese betreffen den Anlagenbau, aber auch die Zertifizierung von Wasserstoff als erneuerbarer Energieträger, die rechtlichen Rahmenbedingungen von Betankungsinfrastrukturen oder den Abgaben- und Tarifbereich.

Windrad und Sonnenblumen

Wollen wir die Klimaziele erreichen, dann braucht es einen weiteren Ausbau alternativer Energieträger wie Wasser-, Wind- und Sonnenkraft. © Gustavo Quepón on Unsplash

Lassen Sie uns mit dem Abgaben- und Tarifbereich beginnen.
Da sehen wir aktuell ein großes Problem im Wegfall der temporären Befreiung vom Netznutzungs- und Netzverlustentgelt mit Ende 2020. Bislang müssen Anlagen zur Umwandlung von Strom in Wasserstoff für den Bezug von elektrischer Energie keine Gebühr entrichten. Allerdings läuft diese temporäre Befreiung mit Ende 2020 aus, was die Finanzierung entsprechender Anlagen erschwert. Wichtig wäre auch die Reduzierung der Anschlusskosten für Umwandlungsanlagen, eine Befreiung von der Elektrizitätsabgabe, der Gebrauchsabgabe sowie dem Biomassezuschlag und eine rechtliche Gleichstellung von Wasserstoff mit biogenen Gasen in Hinblick auf die Gas-Netznutzungsentgelte im Rahmen der Einspeisung. Überhaupt nicht nachvollziehbar ist zudem die Doppelbelastung, die für den Bezug und die Wiedereinspeisung von Erdgas fällig wird.

Da ist jeweils eine Gebühr zu entrichten?
Die Einspeisung eines Erdgas-Wasserstoff-Gemischs in das Gasnetz setzt den Bezug und die Wiedereinspeisung von Erdgas voraus. Obwohl das Erdgas nicht verbraucht wird, ist dafür aber jeweils ein Netznutzungsentgelt zu bezahlen.

Sie haben zuvor auch dringenden Handlungsbedarf bei den Zertifizierungen erwähnt.
Da wären für mehr Transparenz etwa einheitliche Richtlinien für die Kennzeichnung erneuerbarer Energieträger wünschenswert. Zudem sollte der Bereich der gesetzlichen Gaskennzeichnung auch jene Anlagen erfassen, die nicht in das öffentliche Gasnetz einspeisen. Wenn diese sogenannten Off-Grid-Anlagen in der Industrie oder im Mobilitätsbereich handelbare Zertifikate für ihre Wasserstoff-Mengen erhalten, könnten zusätzliche Erlösströme generiert werden.

Und wie sieht es mit Hürden beim Anlagenbau aus?
Da unterliegen beispielsweise Elektrolyseanlagen, die keine relevanten Emissionen verursachen, nach wie vor der Industrieemissions-Richtlinie, weil schlichtweg gesonderte Regelungen fehlen. Das ist sehr hinderlich, was rechtliche Genehmigungen betrifft. Zudem bräuchte es Anpassungen bei verschiedenen Grenzwerten, um Umsetzungen von Anlagen zu erleichtern. Bei der Infrastruktur wiederum bräuchte es Optimierungen der Einspeisepunkte und bei den Standortvoraussetzungen der Anlagen, aber auch eine stetige Anpassung des zulässigen Grenzwertes für die Wasserstoffkonzentration im Gasnetz.

Konnten in einzelnen Punkten in den vergangenen Jahren Fortschritte erzielt werden?
Leider nein. Zuletzt hat es jedenfalls keine Vereinfachungen gegeben und auch rechtlich hat sich wenig bewegt – das mag aber auch der Regierungsumbildung und der aktuellen Corona-Situation geschuldet sein. Ein dringender Handlungsbedarf wäre jedenfalls gegeben.

Gibt es internationale Vorbilder, an denen man sich bei der Gestaltung des Rechtsrahmens und der Förderlandschaft orientieren könnte?
In Deutschland wurden zuletzt gleich mehrere zentrale Stellen geschaffen, die das Thema an der Schnittstelle zwischen Industrie, Forschung und Politik koordinieren und vorantreiben. Auch bei uns wäre eine ähnliche Institution wünschenswert, die das Thema treibt, Informationen einholt, Netzwerke spinnt und die auch die Befugnisse hat, tatsächlich etwas umzusetzen. Das könnte in Form einer eigenen Organisation passieren, man könnte das aber auch beim Klimafonds integrieren. Wichtig wäre außerdem, dass man sich bei Förderungen auf die hohen Investitionskosten konzentriert, die Betriebskosten sind auch ohne Zuschüsse zu stemmen. In Deutschland passiert das bereits, was deutlich mehr Umsetzungen zur Folge hat.

Industrie, Mobilität, Haushalt – in welchem Bereich sehen Sie aktuell das größte Wachstumspotenzial für Wasserstoff?
Grundsätzlich besteht in allen Bereichen Potenzial, zunächst wird der Bedarf aber wohl vor allem in der Industrie und im Mobilitätsbereich steigen – und da vor allem im Bereich des Schwerlastverkehrs. Auch im öffentlichen Personen- und Nahverkehr gibt es „Low Hanging Fruits“, die man rasch ernten könnte und die viel zur Schadstoffreduktion beitragen würden. Die Umsetzung von Wasserstoffbussen ist beispielsweise mit vergleichsweise wenig Aufwand verbunden. Mit etwas politischem Rückenwind sollte die Errichtung einer Wasserstoff-Tankstelle und der Betrieb einer Wasserstoffbus-Flotte in jeder größeren Stadt in Österreich möglich sein. Die Infrastruktur könnte dann wiederum ein Türöffner für die nächsten Schritte sein, etwa für das Pkw-Segment und das Lkw-Segment.

Stadtverkehr

„Wasserstoff hat vor allem im Mobilitätsbereich große Wachstumspotenziale“, so Alexander Trattner. „Die Umsetzung von Wasserstoffbussen ist beispielsweise mit vergleichsweise wenig Aufwand verbunden.“ © Joey Kyber on Unsplash

Wagen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft, vielleicht ins Jahr 2030: Werden bis dahin alle offenen rechtlichen Fragestellungen geklärt und Hürden genommen sein? Wie präsent wird das Thema Wasserstoff dann in Österreich sein?
Ich gehe davon aus, dass die Fragestellungen bis dahin geklärt sind und viele Hürden abgebaut werden konnten – alleine schon, weil es gar nicht anders geht. Wie schon zuvor erwähnt: Ohne Wasserstoff wird keine Energiewende möglich sein. Die Notwendigkeit, in diesem Bereich Fortschritte zu erzielen, wird daher mit jedem Jahr größer und damit steigt auch der Druck auf die Entscheidungsträger für ordentliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Was die Bedeutung von Wasserstoff im Jahr 2030 angeht, bin ich weniger sicher …

Weil?
… in zehn Jahren einfach enorm viel passieren kann. Vor wenigen Jahren wurden nur kleine Pilotanlagen geplant und umgesetzt, heute ist die Technik schon deutlich ausgereifter und die Zahl der Umsetzungen sprunghaft gestiegen. Bis 2030 wird sich diese Entwicklung wohl weiter beschleunigen. Wir werden dann sicher einige Großanlagen in Österreich stehen haben und ich gehe davon aus, dass grüner Wasserstoff in Bussen und Zügen, bei Taxiflotten und touristischen Betreibern sowie in vielen anderen Bereichen zum Einsatz kommen wird. Dazu muss es uns in Österreich allerdings in Zukunft besser gelingen, die durchaus ansprechenden Erfolge in der Forschung und Entwicklung verstärkt in Industrialisierungen umzumünzen und nutzbar zu machen. Da bleibt aktuell leider noch viel Potenzial ungenutzt.