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Interview
„Es führt kein Weg an umfassenden Emissionsreduktionen vorbei“
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Constantin Saleta ist International Service Leader Decarbonization bei der denkstatt Österreich GmbH. Er begleitet seit vielen Jahren Unternehmen bei der Transformation hin zu einer CO2-freien Wirtschaft und fokussiert seine Arbeit dabei auf Themenbereiche wie Klimastrategien auf Basis von Science Based Targets sowie Management von klimabezogenen Risiken und Chancen.

„Jeder Euro, der in Emissionsreduktionsprojekte im eigenen Unternehmen und den eigenen Wertschöpfungsketten investiert wird, ist dort sicher besser angelegt als in Kompensationszertifikaten.“

Wie sich mit einer soliden Datenbasis Reduktionspotenziale identifizieren und Schritt für Schritt einsparen lassen? Wir haben Constantin Saleta, International Service Leader Decarbonization beim Beratungsunternehmen denkstatt gefragt.

Stand: Mai 2023

Herr Saleta, der Begriff Klimaneutralität ist in aller Munde. Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich mit ihren Emissionen und wollen diese reduzieren. Wie startet man diesen Prozess richtig?
Der erste Schritt zum Erfolg ist die Schaffung einer soliden Datenbasis. Damit erhalten Verantwortliche einen fundierten Einblick in ihre Emissionen und einen Überblick über ihre zukünftigen Reduktionspotentiale. Die Erhebung der Emissionen erfolgt dabei entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Wie geht es dann weiter?
Wurde eine solide Datenbasis geschaffen, erfolgt im nächsten Schritt die Erarbeitung eines wissenschaftsbasierten Reduktionspfads, welcher vor 2050 zu Netto-Null-Emissionen führt. Dieser Pfad gibt vor, welche Reduktionen in welchen Zeiträumen zu erreichen sind. Darauf aufbauend werden anschließend in einem Transitionsplan konkrete Maßnahmen zur Erreichung des Reduktionsziels festgelegt.

Vor allem die Erhebung im sogenannten Scope 3-Bereich, in dem alle Emissionen bilanziert werden, die in der vor- und nachgelagerten Wertschöpfungskette anfallen, stellt Unternehmen häufig vor große Herausforderungen. Mit welchem Ansatz kommt man möglichst rasch zu aussagekräftigen Daten?
Eine Orientierung am international anerkannten Bilanzierungsstandard des GHG Protocol hilft hier. Der Scope 3-Bereich wird dabei in 15 Kategorien eingeteilt. Mit Hilfe einer Wesentlichkeitsanalyse können Unternehmen relevante Emissionsquellen eruieren. Meist sind nicht alle 15 Kategorien für alle Wertschöpfungsketten in relevanter Größe aufzufinden. Sind irrelevante Kategorien aussortiert, erfolgt die genauere Berechnung der Emissions-Hot-Spots. Dabei findet man in Datenbanken für viele – wenn nicht die meisten – Kategorien Marktdurchschnittswerte. Diese helfen bei einer ersten, groben Größeneinschätzung der Emissionen. In der Regel bleiben nach einer solchen Analyse um die zwei bis vier relevante Kategorien übrig. Für diese gilt es dann eine konkrete Berechnung der Emissionen mit Primärdaten wie den spezifischen Emissionsfaktoren von Kunden:innen oder Zuliefernden durchzuführen.

Windräder

Nachhaltige Dekarbonisierung: Ziel muss es sein, so schnell wie möglich von der Nutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas oder Öl auf erneuerbare, naturverträgliche Energiequellen umzusteigen. © Zbynek Burival auf Unsplash

Warum sind Primärdaten dabei so wichtig?
Weil nur Primärdaten den exakten Wert für das eigene Unternehmen liefern, um wirksam Emissionen einzusparen und Verbesserungen in der Treibhausgasbilanz sichtbar zu machen. Mit Durchschnittswerten aus Datenbanken kann der Impact der gesetzten Maßnahmen nicht erfasst werden. Die tatsächliche Erhebung der Emissionsmengen in den relevanten Kategorien entlang der Wertschöpfungsketten ist daher eine Voraussetzung für eine erfolgreiche, unternehmerische Klimastrategie.

Der WWF und denkstatt haben im Förderprojekt des Österreichischen Klima- und Energiefonds „Wege in die 1,5-Grad-Wirtschaft“ gemeinsam mit 14 österreichischen Unternehmen Methoden der Science Based Targets Initiative (SBTi) angewendet. Wer ist die SBTi und welcher Logik folgen diese Methoden?
Die SBTi bietet Unternehmen eine wissenschaftsbasierte Methode zum Setzen von umfassenden Klimareduktionszielen. Der Ansatz basiert auf einem globalen Treibhausgasbudget (THG-Budget), welches der gesamten Erde zur Verfügung steht. Dieses umfasst eine bestimmte Menge an Treibhausgasen, welche in die Atmosphäre emittiert werden kann, bevor eine zu hohe Konzentration unumkehrbare und katastrophale Auswirkungen auf den Planeten hat. Die SBTi bricht dieses globale THG-Budget in unterschiedlichen Ansätzen auf einzelne Unternehmen und Sektoren herunter. Dadurch können die notwendigen Emissionsreduktionen zur Erreichung des Pariser Klimaschutzabkommens berechnet werden. Für Klein- und Mittelbetriebe gibt es zusätzlich vereinfachte Methoden.

Können Sie uns konkrete Zahlen geben? Welche Emissionsreduktionen müssen Unternehmen liefern, um die Klimakrise abzuwenden?
Für einen 1,5-Grad-Reduktionspfad ist es nach SBTi notwendig, die absoluten Emissionen mittelfristig um 4,2 Prozent pro Jahr zu reduzieren um spätestens bis 2050 die Netto-Null zu erreichen. Dies gilt zumindest für die operationalen Emissionen (Scope 1 + 2). Für Emissionen aus der Wertschöpfungskette sind aktuell noch Reduktionspfade von 2,5 Prozent pro Jahr anwendbar. Netto-Null bedeutet, dass Unternehmen – mit Abweichungen einzelner Sektoren – zirka 90 Prozent ihrer Emissionen verringern und die verbleibenden zehn Prozent Rest-Emissionen durch den Einsatz von Zertifikatslösungen aus permanenten Carbon Removal Projekten neutralisieren.

Ist das nicht trotzdem eine sehr hohe Hürde für viele Unternehmen?
In Anbetracht der Konsequenzen der menschengemachten Klimakrise bleibt uns leider keine Alternative. Allerdings beobachten wir, dass Unternehmen mit einem SBTi definierte Reduktionsambitionen meist sogar übertreffen. Im Umsetzungsprozess wird deutlich, dass eine ambitioniertere Reduktion möglich ist, als ursprünglich angenommen und prognostiziert wurde.

Sind die notwendigen Reduktionspfade definiert und validiert? Wie kommt man dann vom Plan zur maßgeschneiderten Klimastrategie?
Nach der Bilanzierung des Corporate Carbon Footprints und der Berechnung der Reduktionspfade folgt im dritten Schritt eine Potentialanalyse. Diese stellt dar, wo Einsparungspotentiale liegen und wie diese mit vertretbaren Investments genutzt werden können. Ein Beispielfall aus der Elektronikindustrie illustriert die verwendete Systematik: Ein Unternehmen quantifiziert dabei für jedes Projekt eine zugehörige CO2-Reduktion. Anschließend werden alle nach ihrer finanziellen Effizienz, also nach Kosten pro Tonne CO2-Einsparung gereiht. So entsteht eine tragfähige Basis für robuste Geschäftsentscheidungen, und Einzelprojekte können priorisiert werden. Anschließend wird eine Roadmap erstellt, bevor es in die Implementierungsphase geht. Hier ist besonderer Wert auf die Einrichtung geeigneter Governance-Strukturen im Unternehmen zu legen. Da gibt es erfahrungsgemäß bei vielen Firmen noch Entwicklungsbedarf.

Infografik Emissionen

Nur eine ernstgemeinte Transformation im Kerngeschäft des jeweiligen Unternehmens kann nachhaltig zum Gelingen der Energiewende und zur Erreichung der Klimaziele beitragen.

Viele Unternehmen erreichen ihre Klimaneutral-Claims nur mit massivem Einsatz von CO2-Zertifikaten (Kompensation). Bringt dieser Ansatz die Transformation voran?
Nein, das kann nur mit einer ernstgemeinten Transformation im Kerngeschäft des jeweiligen Unternehmens und den damit verbundenen Wertschöpfungsketten gelingen. Kompensation, wie sie derzeit leider massiv betrieben wird, heißt eine emittierte Tonne CO2 wird an anderer Stelle ausgeglichen. Selbst unter Idealbedingungen ist dies im besten Fall ein Nullsummenspiel ohne Effekt auf die Atmosphäre. Eine durch Zertifikate erkaufte „Klimaneutralität“ ändert im Geschäftsmodell des Unternehmens nichts und ist daher mehr als ineffektiv. Zusätzlich birgt die missverständlich erkaufte Nachhaltigkeit ein immer größeres Reputationsrisiko für Unternehmen. Immer häufiger sehen sich Unternehmen mit Klagen wegen unlauterer Werbung konfrontiert. In einem solchen Fall hat man zu den Kosten für die Zertifikate noch Anwaltskosten zu tragen. Zusätzlich ist ein beträchtlicher Reputationsschaden hierbei so gut wie garantiert. Jeder Euro, der in Emissionsreduktionsprojekte im eigenen Unternehmen und den eigenen Wertschöpfungsketten investiert wird, ist dort sicher besser angelegt als in Kompensationszertifikaten.

Für die meisten Unternehmen wird es notwendig sein, ihre nicht reduzierbaren Rest-Emissionen (nach SBTi rund zehn Prozent der aktuellen Emissionen) bis 2050 in irgendeiner Art und Weise auszugleichen. Welche Möglichkeiten an Zertifikaten gibt es hier?
Die Credits, die zur Erzielung der Netto-Null benötigt werden, müssen die aktive Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und die langfristige beziehungsweise permanente Speicherung – entweder durch technische Hilfsmittel oder durch Speicherung in gesunden Ökosystemen – repräsentieren. Derzeit sind sehr viele der Kompensationszertifikate aus Projekten, in denen es im Wesentlichen um Effizienzsteigerung geht. Ein Beispiel dafür wäre der Ersatz eines Kohlekraftwerks durch effiziente Gaskraftwerke. Das bedeutet zwar einen geringeren CO2-Eintrag in die Atmosphäre, es entstehen aber immer noch Emissionen. Für die Darstellung der Netto-Null ist es daher notwendig, die Summe der Emissionen in derselben Menge wieder zu entfernen und langfristig außerhalb der Atmosphäre zu binden. Nur so kann der Treibhausgashaushalt global wieder in ein stabiles Gleichgewicht gebracht werden.
Zertifikate, die diesem Qualitätsanspruch genügen, sind derzeit aber nur in äußert geringem Maße am Markt verfügbar.

Was wohl in der Natur der Sache liegt, oder?
Ja. Bildlich gesprochen ist es einfach nicht möglich so viel Wald zu pflanzen, wie CO2 emittiert wird. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass kein Weg an der massiven Emissionsreduktion vorbeiführt. Kompensation, wie sie momentan angewendet wird, ist ineffektiv und der Versuch business as usual durch den Einsatz von Geld grün zu waschen. Weiters hat es für die Unternehmen keinerlei operative Vorteile, während Investitionen in Energieeffizienz oder stärkeres Engagement mit der eigenen Lieferkette viele positive Synergieeffekte aufweisen.