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Stand: Mai 2019

Die Zukunft muss grün sein. Zumindest grüner als jetzt, das ist für die meisten SchülerInnen des BRG 16 Schuhmeierplatz klar. „Wir brauchen viel mehr Bäume in der Stadt. Mehr Pflanzen und mehr Parks.“ Warum? „Weil wir uns im Grünen einfach wohler fühlen“, sagen Johanna, Armann, Laurin, Elif und Magomed unisono. Die SchülerInnen der zweiten Klasse lachen, sprechen wild durcheinander, kommen dann aber doch zu einem gemeinsamen Nenner: „Wir können im Grünen besser lernen, uns besser konzentrieren und leichter aufpassen.“ Die Rede ist jetzt nicht mehr von einem Park um die Ecke oder einem Besuch in einer Naherholungszone wie der Donauinsel; die Rede ist vom Biologiesaal ihrer Schule in Wien-Ottakring.

15 Quadratmeter Grünfläche

Der Raum sieht aus SchülerInnenperspektive – Blick nach vorne in Richtung Tafel – zunächst wie jeder andere Biologiesaal in Österreich aus. An der Wand hängen Schaubilder und Foto-Reportagen von Lehrausgängen, die Arbeitstische der Kinder stehen in Reih und Glied. Aus Sicht der LehrerInnen ist dann aber doch etwas anders – und zwar gravierend. Gemeint sind nicht die dicht mit Pflanzen vollgestellten Fensterbretter, die sind so oder ähnlich wohl in vielen Klassenzimmern zu sehen. Im Unterschied zu anderen Biologiesälen im Land verfügt dieser hier aber über eine begrünte Rückwand. Auf rund 15 Quadratmetern Wandfläche wurde im Sommer 2017 ein Pflanzsystem installiert, die Tröge mit Tonsubstrat gefüllt und dicht mit Pflanzen besetzt. Die Wasserzufuhr ist über eine Tanklösung mit Pumpe und Tropfschläuchen automatisiert, energiesparende LEDs sorgen für eine aktive Beleuchtung und von der Decke hängen kleine Sensoren, die etwa die CO2-Konzentration im Raum messen, aber auch die Luftfeuchtigkeit, die Temperatur und viele andere Daten.

Neue Begrünungsansätze umsetzen

Das Forschungsteam von „GRÜNEzukunftSCHULEN“ erwarten sich von den Informationen wichtige Rückschlüsse zu Funktion und Betrieb der vertikalen grünen Wände. Das vom Klima- und Energiefonds geförderte Smart-Cities-Projekt hat es sich zur Aufgabe gemacht, neue Begrünungsansätze zur Steigerung der Aufenthaltsqualität in Schulräumen zu finden und praktisch umzusetzen. Exemplarisch passiert das mit dem BRG 16 und dem BRG 15 Diefenbach Gymnasium in Rudolfsheim-Fünfhaus an zwei neugebauten Schulstandorten sowie mit dem Konrad Lorenz Gymnasium in Gänserndorf an einem Standort in der Planungs- und Bauphase. Der Fokus liegt dabei auf dem Energie- und Wasserverbrauch der Begrünungssysteme sowie der Wirkung des Grüns auf das Gebäude, das Raum- und Mikroklima. Von besonderem Interesse ist aber auch der Vergleich von mechanisch belüfteten Räumen im Neubau mit nicht belüfteten Räumen im Alt- und Neubau.

Wandgärten zahlen sich aus

„Dabei wollen wir vor allem der Frage nachgehen, ob die durch die Begrünung verursachte höhere Luftfeuchtigkeit in Neubau-Räumen ohne Lüftungsanlage ein zu hohes Niveau erreicht“, sagt Azra Korjenic. Die Wiener Bauphysikerin und Expertin für ökologisches Bauen an der Technischen Universität Wien ist die Leiterin des Umsetzungsprojekts und damit verantwortlich dafür, dass im Biologiesaal und in einem angrenzenden Klassenzimmer sowie auf einer Wand im Innenhof des BRG 16 Vertikalgärten installiert wurden. „Wir konnten in einem Vorprojekt bereits wichtige Erkenntnisse sammeln, die wir nun weiter verifizieren wollen“, sagt sie und kommt dann auf die vielen Vorteile der Indoor-Wandgärten zu sprechen: „Die Pflanzen nehmen Kohlendioxid auf und produzieren Sauerstoff, verdunsten Wasser und erhöhen so die Luftfeuchtigkeit. Sie absorbieren außerdem Lärm und Schadstoffe, fangen Staub aus der Luft, verbessern damit die Aufenthaltsqualität und haben an heißen Tagen auch eine kühlende Wirkung.“

Deutliche Temperaturunterschiede

Bei Fassadenbegrünungen wie sie etwa am Musée du quai Branly in Paris, am CaixaForum in Madrid oder auch im Innenhof der Schule zu sehen sind, ist die kühlende Wirkung laut Korjenic sogar noch größer. „Vertikale Begrünungen haben das Potenzial, das Klima und die Energiebilanz von Städten entscheidend zu verbessern und urbanen Hitzeinseln entgegenzuwirken“, so die Expertin. „Während sich Wände aus Stein oder Beton an heißen Tagen enorm aufheizen und die Wärme in der Nacht wieder in den Straßenraum abgeben, reflektieren Pflanzen an der Wand das Sonnenlicht. Sie werfen Schatten, halten Regenwasser zurück, und die Wand dahinter erhitzt sich nicht so stark.“ Messungen in bewachsenen und kahlen Innenhöfen hätten laut Korjenic gezeigt, dass der Temperaturunterschied bis zu fünf Grad ausmache. Bei der gefühlten Temperatur sei die Differenz sogar noch größer.

Low-Cost-Maßnahmen im Fokus

Ziel des Projekts ist es neben der Erstellung eines Leitfadens für grüne Architektur im Schulbau auch, mit Low-Cost-Maßnahmen für mehr Grün im Schulgebäude zu sorgen und damit der Hitze in der Stadt entgegenzuwirken. Dazu wurde im Projekt beispielsweise ein kostengünstiger Selbstbausatz für ein vertikales Begrünungselement entwickelt, der nun optimiert wird. Der Bauplan soll in weiterer Folge online kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Eine weitere Klimaanpassungsmaßnahme findet sich am Dach des Schulgebäudes, wo Oberstufen-Schüler Ilia Pashaeinia gemeinsam mit vielen anderen SchülerInnen und ProjektpartnerInnen eine mit Pflanzen überdachte Freiluftklasse errichtet hat, in der laut Gabriele Huber mittlerweile auch schon fleißig unterrichtet wird. Die Biologielehrerin ist Teil des Projektteams an der Schule. „Wir haben lange überlegt, wie wir mehr Grün an die Schule bekommen können. Mit GRÜNEzukunftSCHULE hat sich dann eine einmalige Gelegenheit ergeben, die wir beim Schopf gepackt haben. Das Projekt wird auch von unseren SchülerInnen sowie LehrerInnen gut angenommen.“

Rundum gelungene Zusammenarbeit

Auch Direktor Andreas Germ sah die einmalige Gelegenheit: „Wir machen mit dem Projekt unsere Schule grüner, setzen einen Kontrapunkt zu den immer heißer werdenden Städten und profitieren davon auch noch im Unterricht. Aspekte des Projekts fanden in den unterschiedlichsten Fächern Berücksichtigung, in Biologie ebenso wie in Geometrischem Zeichnen, Werken und Physik. Zu vielen Themen kamen sogar externe ExpertInnen zu uns an die Schule und hielten Vorträge. Für uns ist das also eine rundum gelungene Zusammenarbeit mit Vorbildcharakter, die auch in Zukunft Früchte tragen wird.“ Und das sprichwörtlich: Im Innenhof der Schule soll demnächst ein Hochbeet mit Sitzgelegenheiten errichtet werden.

St. Pölten will noch grüner werden

Schauplatzwechsel nach St. Pölten, wo sich das ebenfalls vom Klima- und Energiefonds geförderte Projekt „Stadtoase St. Pölten“ mit einem ähnlichen Themenkomplex wie „GRÜNEzukunftSCHULEN“ beschäftigt. Auf low-cost-Ebene sollen an verschiedenen Plätzen und Orten der Stadt innovative Begrünungsmaßnahmen umgesetzt und damit die Innenstadt an Sommertagen kühler und lebenswerter gemacht werden, wie Projektkoordinator Stefan Haiderer von der Stadt St. Pölten erklärt. „Wir haben bereits eine sehr grüne Stadt, mit dem Projekt wollen wir nun aber vor allem im Stadtzentrum noch grüner werden und dort dem Hitzeproblem entgegenwirken. Da wir in vielen Fällen aus baulichen Gründen oder wegen des Denkmalschutzes nicht die Möglichkeit haben, große Maßnahmen umzusetzen und beispielsweise Bäume zu pflanzen, wollen wir mit vielen kleinen Lösungen, sogenannten Stadtoasen, zum Erfolg kommen.“

Stadtspaziergang im Beserlpark

Bereits zu sehen ist eine dieser Stadtoasen in der Kremser Gasse, nur wenige Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Eine Arbeitsgruppe aus engagierten BürgerInnen und Teilen des Projektteams hat dort im Frühjahr 2019 im Selbstbau zwei Holzmöbel mit Rankwänden errichtet und mit Nektarine, Felsenbirne, Ribisel und Kiwi bepflanzt. Am Robinson-Spielplatz wurden Beerensträucher gesetzt und ein Feldahornweg angelegt, weitere Umsetzungen sind in Planung. So soll beispielsweise auch aus dem Beserlpark eine Stadtoase werden. Das schmale Stück Grün an der Julius-Raab-Promenade hat sich in den vergangenen Jahren zu einem sozialen Brennpunkt entwickelt und wird von mittlerweile AnrainerInnen weitestgehend gemieden. Im Rahmen eines Stadtspaziergangs und eines Workshops will das Projektteam nun den Ursachen dafür auf den Grund gehen und mögliche Lösungen sowie Verbesserungen diskutieren und planen. „Ich gehe dort immer mit meinem Hund Gassi“, sagt eine Anrainerin, die am Spaziergang teilnimmt. Länger aufhalten will sie sich im Park allerdings ebenso wenig wie die anderen rund 15 TeilnehmerInnen. Es liegt ihnen zu viel Müll herum, sie stören sich an Leuten, die dort Alkohol trinken und sie kritisieren eine Strauchreihe, die von vielen PassantInnen missbräuchlich als Toilette genutzt wird. Neben Kritik sparen sie aber auch nicht mit Ideen zur Aufwertung des Parks: Eine abgegrenzte Hundezone wird diskutiert, es bräuchte mehr Mistkübel, am südlichen Ende des Parks könnte eventuell eine Hängematte Platz finden, und eine neue Pergola könnte Schatten spenden und damit insbesondere an heißen Sommertagen die Aufenthaltsqualität im Park erhöhen.

St. Pölten geht uns alle an

Innovativ am Projekt ist der gewählte „Bottom-up-Ansatz“, die Ideen und Umsetzungen sollen also aus der Bevölkerung kommen, die BewohnerInnen breite Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten haben. Ziel ist es, unter der Beteiligung von möglichst vielen EinwohnerInnen grüne Wände und grünes Stadtmobiliar sowie ein Kinder-Klima-Forschungslabor umzusetzen. Am Projektende sollen auf Basis sozialer Innovationen mehr als 200 BürgerInnen an der Umsetzung und der Pflege von prototypischen Grün- und Freiräumen mitgewirkt haben. Natürlich auch an der Planung, so wie jetzt in einem Besprechungsraum des St. Pöltner Rathauses. Das Projektteam hat dort auf Tischen Bleistifte und Papier bereitgelegt, Luftaufnahmen und Pläne des Parks. Mit Legosteinen können die Workshop-TeilnehmerInnen ihre im Beserlpark diskutierten Ideen auch direkt Form annehmen lassen. Stefan Parnreiter-Mathys, der als Prozessbegleiter Teil des Projektteams ist, koordiniert den Ablauf. Zuerst werden in Kleingruppen die Ideen gesammelt, anschließend in großer Runde vorgetragen und gemeinsam weiterentwickelt. Danach gilt es – wiederum in Kleingruppen – die unterschiedlichen Ideen auszugestalten und auszuformulieren. „Natürlich betreffen nicht alle Ideen direkt das Projekt“, sagt Stefan Haiderer, „aber wir sammeln auch diese Ideen, um langfristig die Wohnsituation in der Stadt verbessern zu können.“

BürgerInnen sitzen mit am Tisch

Eine wichtige Rolle in „Stadtoase St. Pölten“ spielt der BürgerInnen-Beteiligungsverein „Smart Pölten“, der sogar Teil des Projektkonsortiums ist. „Damit sind wir in einer einmaligen Situation“, sagt Vorstand Christian Groissmaier, der in seiner Funktion und als Anrainer des Beserlparks den heutigen Workshop begleitet. „BürgerInnen und AnrainerInnen werden zwar in viele Projekte miteinbezogen, dass sie aber selbst Teil des Projektes sind, ist neu.“ Nachträglich sei das für das Vorhaben aber keineswegs ein Nachteil, ganz im Gegenteil, so Groissmaier: „Natürlich war es für den einen oder anderen Projektpartner ungewohnt, dass wir bei Entscheidungen mit am Tisch sitzen. Da wir im Verein aber über sehr viel Fachwissen verfügen und uns das gemeinsame Ziel verbindet, St. Pölten lebenswerter zu machen, wurden wir schon bald als wertvoller Teil anerkannt.“

Ideen nehmen Form an

Im Besprechungsraum des St. Pöltner Rathauses hat sich einstweilen eine rege Diskussion entwickelt. Wo soll die Schatten und Kühle spendende Pergola platziert werden? In der Parkmitte? Oder doch einige Meter nördlich davon? Und wie soll die Pergola aussehen? Zwei TeilnehmerInnen präsentieren mit Lego-Figuren und -Bausteinen ihren Vorschlag, Stefan Parnreiter-Mathys hält wichtige Punkte auf Post-it-Zetteln fest und klebt diese anschließend auf eine Skizze des Parks. Dort finden sich auch schon andere Notizen, etwa zur geplanten Hundezone. Ein Teilnehmer hat vorgeschlagen, einen neuen Weg vom südlichen Ende zur Parkmitte anzulegen, ein Trinkbrunnen ist ebenso in Diskussion wie ein Ausdünnen der vorhandenen Sträucher und die Errichtung eines begrünten Sichtschutzes in Richtung Julius Raab-Promenade. „Da ist heute einiges weitergegangen“, wird Smart-Pölten-Vorstand Christian Groissmaier hinterher zufrieden Bilanz ziehen. „Jetzt geht es aber darum, die Ideen auch umzusetzen.“

Kinder sind begeistert

Zurück ins BRG 16 in Wien Ottakring, wo einige SchülerInnen gerade dabei sind, den Tank eines der Vertikalgärten mithilfe einer Gießkanne mit Wasser zu befüllen. Schwer fällt ihnen diese Arbeit nicht, im Gegenteil, sie scheint den Kindern sogar Spaß zu machen. Ob die Pflanzen an der Wand auch Nachteile haben, wollen wir wissen. Johanna, Armann, Laurin, Elif und Magomed lächeln. „Ja, wir müssen jetzt viel öfter lüften als früher“, sagt Laurin, „vor allem in der Früh, wenn wir in die Klasse kommen, ist die Luft schon sehr stickig.“ Ein richtiger Nachteil sei das aber auch nicht, so die SchülerInnen weiter: „Immerhin bekommen wir so auch öfter frische Luft von draußen, und das ist ja auch wieder positiv.“ Stimmt.