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Urbane Kühlung

Interview
„Es gibt keine einfachen Lösungen!“
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Maja Žuvela-Aloise ist Expertin für Meteorologie und Klimatologie an der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien.

„Wir stehen vor der Entscheidung: Investieren wir heute schon viel Geld in Klimaanpassungs-Maßnahmen und beugen damit Folgewirkungen bestmöglich vor, oder stecken wir morgen möglicherweise sogar ein Vielfaches davon in die Behebung der Folgewirkungen.“

Kannten unsere Vorfahren bereits urbane Hitzeinseln? Wie beeinflussen die hohen Temperaturen in Städten das regionale Klima und wie können StadtplanerInnen für ein wenig Abkühlung sorgen? Ein Gespräch mit Klimaexpertin Maja Žuvela-Aloise von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien.

Stand: Mai 2019

Frau Žuvela-Aloise, wenn wir eine im 19. Jahrhundert in der Wiener Innenstadt lebende Familie mit den Themen „urbane Hitzeinseln“ und „städtische Überhitzung“ konfrontieren würden, könnte sie damit etwas anfangen?

Sie könnte vermutlich mit den Begriffen nichts anfangen, aber ganz sicher mit der Thematik. In Städten gab es infolge der dichten Bebauung auch damals schon reichlich Sommerhitze, die Temperaturen lagen höher als im Umland. Man hat das auch schon sehr früh als interessantes Phänomen untersucht, beispielsweise in London oder auch in Wien.

Das Problem städtischer „Hotspots“ ist also kein gänzlich Neues?

Nein. Allerdings waren die Temperaturunterschiede früher geringer und die Temperaturen aufgrund des allgemein kühleren Klimas niedriger. Die Städte waren zudem deutlich kleiner als heute, und es war für die BewohnerInnen daher viel leichter, sich an besonders heißen Tagen im Umland abzukühlen – sie fuhren auf Sommerfrische. Zum großen Problem wurden die Hitzeinseln erst mit dem fortschreitenden Klimawandel und der steigenden Urbanisierung. Die Städte wurden immer größer, die Bebauung wurde dichter, Naherholungsräume verschwanden und große Flächen wurden durch Straßen, Plätze und Gebäude versiegelt.

Hitze findet Stadt: Wenn die Temperaturen deutlich über 30 °C klettern, sind wir für jedes bisschen Abkühlung dankbar.

Das heißt aber, dass das Problem der städtischen Überhitzung nur zum Teil durch den Klimawandel ausgelöst wird?

Urbane Hitzeinseln sind städtische Merkmale, die parallel zum Klimawandel entstanden sind. Der Klimawandel ändert das grundlegende Mikroklima und lässt neben allen anderen Folgewirkungen auch die Temperaturen steigen. Die Tatsache, dass es in Städten besonders heiß werden kann liegt aber stark an der Struktur der Städte. Die Vielzahl an Gebäuden, versiegelten Verkehrsflächen und Plätzen speichert die Wärme, und es würde daher auch ohne Klimawandel eine Temperaturdifferenz zwischen Umland und Stadt geben.

Inwieweit wirken sich die höheren Temperaturen in Städten auf das regionale Klima aus? Verändert sich das Klima im Großraum Wien, im Salzburger oder im Grazer Umland, wenn es in den Innenstädten besonders heiß wird?

Es gibt im Umfeld einiger Kilometer um Städte tatsächlich Auswirkungen, dort ist der Effekt beispielsweise durch die Temperatur- und Windverteilung spürbar. Eine weitreichende Wirkung, etwa dass die Temperaturen in Wien auf den gesamten Alpenraum wirken könnten, ist allerdings nicht feststellbar.

Und wie ist das umgekehrt? Wirken Grünflächen um die Stadt positiv auf das Stadtklima? Beispielsweise der Wienerwald auf Wien?

In jedem Fall. Abhängig von der Vegetation, der vorherrschenden Luftströmung und dem Gelände ergeben sich definitiv positive Effekte. Würde es den Wienerwald nicht geben, wäre das Stadtklima in Wien ein gänzlich anderes. Daher ist es für Städte auch sehr wichtig, dass Grünflächen in ihrem unmittelbaren Umfeld erhalten bleiben und nach Möglichkeit sogar ausgebaut werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Städte mit den Umlandgemeinden eng zusammenarbeiten und eine gemeinsame Strategie verfolgen, es bräuchte dafür aber mehr überregionale Umsetzungspläne und -initiativen.

Sind von der Problematik auch kleinere Städte wie Wr. Neustadt, Bregenz oder Villach betroffen?

Die Problematik ist dort abgeschwächt, weil etwa Frischluft leichter ins Stadtzentrum gelangen kann, aber nichtsdestotrotz spürbar. Im Projekt ADAPT-UHI „Urban Climate Change Adaptation for Austrian Cities: Urban Heat Islands“ untersuchen wir aktuell die Hitzebelastung in Klagenfurt, Salzburg und Mödling und analysieren, wie effektiv dort Gegenmaßnahmen sein können. Für Großstädte wie Wien ist der Nutzen einer klimasensiblen Stadtplanung schon sehr gut untersucht und bestätigt, in ADAPT-UHI berechnen wir den Nutzen unterschiedlicher Maßnahmen nun auch im kleineren Maßstab. Wir erhoffen uns dadurch wichtige Rückschlüsse für die Stadtplanung.

Inwiefern?

In vielen kleineren Städten wird derzeit viel verdichtet, werden freie Flächen verbaut. Wir hoffen mit den Ergebnissen unseres Projekts die negativen Auswirkungen frühzeitig aufzeigen zu können. So können diese Städte in Zukunft hoffentlich viele Fehler vermeiden, die in den vergangenen Jahrzehnten in Großstädten gemacht wurden.

Apropos Nachverdichtung: Die steigenden Grundstückspreise und das Streben nach mehr Energie- und Ressourceneffizienz haben in vielen Städten in den vergangenen Jahren zu einer teils sehr hohen Nachverdichtung geführt. Nun zeigt sich zunehmend, dass diese Maßnahme auch die Erwärmung unserer Städte weiter vorantreibt, also auch negative Effekte hat.

Wie bei den meisten Lösungsansätzen sieht man oft erst mit einem gewissen Zeitabstand, ob sie tatsächlich sinnvoll sind. In diesem Fall zeigt sich nun, dass die Formel „Nachverdichtung ist gleich mehr Energieeffizienz“ doch einige Variablen enthält, die man ursprünglich nicht berücksichtigt hat. Diese Erkenntnis ist im Übrigen aber auf praktisch alle Klimaanpassungsmaßnahmen umlegbar: Es gibt keine einfachen Lösungen. Es geht immer um einen Maßnahmenmix, der individuell auf einzelne Städte abgestimmt werden muss, damit er auch wirksam und nachhaltig ist.

Sie können mit ihren mathematischen Modellen recht präzise Berechnungen zur Temperaturverteilung in der Stadt oder in einem Stadtteil anstellen. Welche Rolle kommt dabei einzelnen Parametern zu? Haben schon einige Bäume das Potenzial, regional die Temperatur beispielsweise in einem Straßenzug und damit in einem Stadtteil zu senken?

Wir führen unsere Berechnungen mit dem dynamischen Stadtklimamodell MUKLIMO_3 durch. Dabei wird die flächenhafte und zeitliche Verteilung von Temperatur, relativer Luftfeuchtigkeit, Windrichtung und Windgeschwindigkeit auf einem sehr detaillierten Raster von etwa 100 mal 100 Meter unter Berücksichtigung der Geländeform und der Landnutzung – ob das Gebiet beispielsweise bebaut ist oder als Agrarfläche genutzt wird – berechnet. Und ja, natürlich zeigen sich dabei die Auswirkungen einzelner Maßnahmen auf die unmittelbare Umgebung. Um aber größere Effekte zu erzielen, braucht es größere und mehr Maßnahmen. Es hilft nicht viel, wenn nur einige Bäume gepflanzt werden.

Aber Bäume kühlen doch ihre Umgebung?

Natürlich, Bäume beschatten und kühlen ihre Umgebung durch Verdunstung. Bäume behindern aber auch die Luftzirkulation und können Windschneisen im Weg stehen, was eine schlechtere Durchlüftung in ihrer unmittelbaren Umgebung zur Folge haben kann. Will man nachhaltig Maßnahmen setzen, dann müssen diese also gut durchdacht und analysiert werden.

Deutlicher Temperaturunterschied: Eine Messfahrt der ZAMG offenbart höhere Temperaturen in der Stadt (im konkreten Fall Wien) als im Umland.

Lassen sich mit Klimaanpassungsmaßnahmen die städtische Erwärmung und der Klimawandel komplett kompensieren?

Wenn tatsächlich das Worst-Case-Szenario des durch den Klimawandel ausgelösten Temperaturanstiegs eintreffen sollte, lässt sich nur ein Teil kompensieren. In einem umweltfreundlicheren Szenario von ein bis zwei Grad Erwärmung könnten die Auswirkungen immerhin in einem erträglichen Rahmen gehalten werden.

Ist StadtplanerInnen diese Problematik schon bewusst? Wie sehr ist dort bereits verankert, dass aktiv Maßnahmen gegen die Erwärmung gesetzt werden müssen?

Die sehr heißen Sommer der vergangenen Jahre haben definitiv einen Umdenkprozess eingeleitet. Das Interesse steigt, wir bekommen immer mehr Anfragen …

… die dann auch in konkrete Umsetzungen und Projekte münden?

Immer öfter werden Klimaanpassungsmaßnahmen tatsächlich in der Planung berücksichtigt, aber natürlich kostet die Umsetzung viel Geld. Den Städten ist klar, dass sie etwas tun müssen, sie sind von den Maßnahmen auch begeistert, aber die Kostenfrage schreckt viele dann doch noch ab. Dabei gibt es dazu eigentlich keine Alternative, die Kosten werden in jedem Fall entstehen. Wir stehen daher vor der Entscheidung: Investieren wir heute schon viel Geld in Klimaanpassungsmaßnahmen und beugen damit Folgewirkungen bestmöglich vor, oder stecken wir morgen möglicherweise sogar ein Vielfaches davon in die Behebung der Folgewirkungen.

Das heißt, Investitionen in blaue und grüne Infrastruktur kosten zwar heute betriebswirtschaftlich mehr, als sie bringen, rechnen sich langfristig aber volkswirtschaftlich?

Berechnungen, wie sie beispielsweise im Projekt COIN angestellt wurden, zeigen, mit welchen Kosten Österreich rechnen muss, wenn man den Klimawandel ignoriert und keine Gegenmaßnahmen setzt. Dabei zeigt sich, dass heute mit Investitionen morgen viel Geld gespart werden kann. Aber es stellt sich auch die Frage: Wer trägt die Kosten und wer profitiert davon? Unter dem Strich braucht es wohl auf gesellschaftlicher und politischer Ebene noch mehr Verständnis, eine nachhaltige Willensentscheidung und klar definierte gesetzliche Rahmenbedingungen. Daran sollte man nun verstärkt arbeiten, um tatsächlich nachhaltig etwas ändern zu können.