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Chancengleichheit

Thema
Ein steiniger Weg zur Chancengleichheit

Klimaschutz und Energiewende sind in aller Munde. Wichtige Faktoren dabei sind Diversität und Chancengleichheit in der Energiebranche – das Bewusstsein dafür kommt aber nur langsam in Gang.

Stand: Februar 2023

Viele Studien weisen inzwischen eindeutig nach, dass Chancengleichheit in den Unternehmen eine gesteigerte Unternehmensleistung und Produktivität, ein höheres Wohlbefinden sowie eine bessere Innovationsleistung mit sich bringt. Von Chancengleichheit profitiert neben Unternehmer:innen und Mitarbeiter:innen eigentlich auch die Gesellschaft als Ganzes. Die Herstellung von Chancengleichheit könnte damit ein entscheidender Puzzleteil bei der Bewältigung der Herausforderungen der Energiewende sein – und die sind enorm, wie sich auch ganz aktuell zeigt.

Die durch den Ukraine-Krieg ausgelöste Energiekrise hat uns enorme Preissteigerungen für Gas, Öl, Benzin und Strom beschert und das Thema im öffentlichen Diskurs ganz nach vorn katapultiert. Neben der Preisexplosion hat auch die Frage der Versorgungssicherheit den Blick auf eine Branche gelenkt, die bislang kaum im Fokus stand: die heimische Energiebranche. Die rot-weiß-roten Versorger, Erzeuger, Dienstleister und Netzbetreiber stehen damit vor einer echten Mammutaufgabe: Sie müssen einerseits die durch den Ukraine-Krieg gestellten Herausforderungen meistern. Angesichts des rasch voranschreitenden Klimawandels brauchen sie andererseits aber auch rasch Lösungen zur nachhaltigen Dekarbonisierung unseres Energiehaushalts.

Schon ab 2030 soll der Strombedarf hierzulande über das Jahr betrachtet vollständig aus erneuerbaren Quellen gedeckt werden, dann will Österreich klimaneutral sein. Dazu braucht es umfangreiche Maßnahmen – vom Ausbau der erneuerbaren Energie und der Nutzung von neuen Energiequellen, über Energie-Effizienzsteigerungen bis hin zu Einsparungen bei Verbraucher:innen. Das setzt neue Konzepte und technische Lösungen voraus. Aber auch engagierte Menschen und Mitarbeiter:innen, denen die Energiewende ein Anliegen ist. Ausgerechnet in diesem Bereich krankt es in der heimischen Energiebranche aber noch gewaltig: bei Diversität und gerechter Geschlechter-Verteilung, bei echter Gleichberechtigung und Chancengleichheit ist noch viel zu tun.

Die heimische Energiebranche hat den Ruf, „ein bisserl verstaubt, konservativ und nach wie vor sehr männerlastig zu sein“, wie es eine leitende Mitarbeiterin des Sektors kurz und bündig zusammenfasst. Bis vor wenigen Jahren waren Frauen in Unternehmen des Sektors deutlich in der Minderheit, heute liegt ihr Anteil laut der aktuellen Studie des AIT im Auftrag des Klima- und Energiefonds „Chancengleichheit in der Energiebranche“ bei 24 Prozent. Das heißt, fast ein Viertel des Personals der Branche ist mittlerweile weiblich. Immerhin.

Wasserkraftwerk

Stark traditionell geprägt: die heimische Energiebranche ist nach wie vor von Männern dominiert. © Franz W. auf Pixabay

2016 noch war die Lage ganz anders. Einer Studie der ÖGUT zufolge lag damals der Frauen-Anteil bei nur 19 Prozent. Unflexible Arbeitszeiten, anhaltende Stereotypen bei Geschlechterrollen und fehlende weibliche Vorbilder prägten die Branche. Und das gilt in Teilen noch heute, wie auch ein Blick nach Deutschland zeigt: Der Anteil weiblicher Führungskräfte im deutschen Energiesektor beträgt laut einer aktuellen PwC Studie 15,5 Prozent (2014:10 Prozent). In der Geschäftsführung ist der Anteil mit nur sechs Prozent noch niedriger. Das könnte sich aber künftig ändern, denn in Deutschland wurde im August 2021 eine Frauen-Quote für die Vorstands-Ebene eingeführt. Dem Gesetz zufolge müssen börsennotierte Unternehmen mit mehr als 2.000 Beschäftigten und mehr als drei Vorständen seit Februar 2022 bei Nachbesetzungen zumindest eine Frau in den Vorstand berufen.

„Arbeit soll unabhängig von Geschlecht und Herkunft entlohnt werden. Gerechte Entlohnung ist ein absolutes Muss.“ Brigitte Bach, Vorständin der Salzburg AG

Ein wichtiger Treiber für Veränderungen ist darüber hinaus die zunehmende Vernetzung von Frauen. In Deutschland gibt es aktuell rund 20 Frauennetzwerke in der Energiewirtschaft. Eines der größten ist „women&energy“, das 2010 von PwC gegründet wurde. „Viele talentierte und hochmotivierte junge Frauen streben inzwischen eine Karriere in der Energiewirtschaft an. Damit diese – und immer mehr – Frauen ihre Ambitionen verwirklichen können, ist es in meinen Augen wichtig, sie gezielt zu vernetzen und zu fördern“, betont Nicole Elert von PwC und women&energy. In Österreich unterstützen die Österreichische Energieagentur und die Kommunikationsagentur Raffeiner Reputation die internationale Austausch- und Vernetzungsplattform „C3E International“. „Wir wollen dadurch Frauen in Energieberufen mehr Öffentlichkeit geben. Außerdem sollen Frauen in Führungspositionen gewürdigt werden. Wir möchten Rollenbilder für junge Frauen präsentieren, um diese zu ähnlichen Karrierewegen zu motivieren“, sagt Karina Knaus von der Österreichischen Energieagentur.

Stromnetz bei Sonnenuntergang

Licht am Horizont: Langsam geht es aufwärts beim Bewusstsein für Chancengleichheit. © Nicole Köhler auf Pixabay

Nur kleine positive Veränderungen
In den vergangenen Jahren hat rund um das Thema eine Bewusstseinsänderung eingesetzt, die sich etwa auch in den weltweiten Zielen für nachhaltige Entwicklung der UNO spiegelt: Das Ziel Nr. 5 lautet „Chancengleichheit für alle Geschlechter“. Dazu kommt, dass die junge Generation „Familienarbeit“ inzwischen partnerschaftlich betrachtet. Die Einführung von Väterkarenz, Papamonat und die gesellschaftliche Akzeptanz und Bereitschaft der Unternehmen, dies auch zu unterstützen, ist eindeutig gestiegen – aber es ist noch Luft nach oben. Derzeit nehmen zwar rund 20 Prozent der Väter in Österreich eine Karenzzeit in Anspruch. Nur drei Prozent bleiben aber länger als drei Monate, lediglich ein Prozent länger als ein halbes Jahr. Dies zeigt eine Studie der Arbeiterkammer. „Von Halbe-Halbe ist Österreich meilenweit entfernt“, urteilt Wirtschaftsredakteurin Clara Peterlik in einem Profil-Artikel vom August 2022 zum Thema Väterkarenz und zeigt auf, wie Österreichs junge Männer ticken.

Gesetzliche Neuerungen der vergangenen zehn Jahre, wie das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld und der Papamonat, hatten wenig Erfolg, bewirkten zum Teil sogar das Gegenteil. Seit der Einführung des Papamonats 2017 gehen weniger Väter in Karenz als davor, heißt es in der Studie. Die Folge: Immer noch kümmern sich vor allem Frauen um die Kinder – und das auch nach ihrer Karenz: Fast die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen arbeitet aktuell in Teilzeit (49,6 Prozent). Neben den Kindern kümmern sie sich auch um Haushalt und Altenpflege – von voller Gleichberechtigung sind wir damit weit entfernt.

Bundespräsident setzt sich für Frauen ein
„Die Gleichstellung ist alles andere als sichergestellt – von der Kinderbetreuung bis zu Karrierechancen. Die vielfältige Diskriminierung muss endlich aufhören“, kam zuletzt auch von Bundespräsident Alexander Van der Bellen anlässlich seiner Angelobung für die zweite Amtszeit im Jänner 2023. Dabei stellen Frauen aktuell mit einem Anteil von 50,8 Prozent die Mehrheit der heimischen Bevölkerung. An den Unis haben Frauen mit rund 55,9 Prozent noch deutlicher die Nase vorn, die meisten Studiengänge haben in den vergangenen Jahren einen steigenden Frauenanteil zu verzeichnen.

„Die Gleichstellung ist alles andere als sichergestellt – von der Kinderbetreuung bis zu Karrierechancen. Die vielfältige Diskriminierung muss endlich aufhören.“
Bundespräsident Alexander van der Bellen, Angelobungsrede am 26.1.2023

Je technischer das Studienangebot allerdings ist, desto weniger Frauen sind zu finden. So betrug der Frauenanteil in der Informationstechnologie-Branche (kurz: IT) laut einer Studie des Verbands Österreichischer Software Innovationen (VÖSI) 2021 nur 18 Prozent. An der TU Wien sind neben den technischen und Informatik-Studienzweigen auch die naturwissenschaftlichen Fächer deutlich mehrheitlich von Männern belegt. Und dieses Verhältnis spiegelt sich auch auf Beschäftigungsebene in der Energiebranche wieder: Die Berufe Elektroniker:in, Maschinenbau-Ingenieur:in, Elektro-Monteur:in oder technische:r Betriebs-Führer:in sind immer noch klar männerdominiert.

Frauen bei der Arbeit in der Energie-Branche

Ein Bild, das in der Energiebranche eher selten ist: Der Frauenanteil liegt bei nur 24 Prozent. © Werner Heiber auf Pixabay 

Von gleicher Bezahlung ist noch keine Rede
Signifikant sind nach wie vor die Gehaltsunterschiede für gleiche Tätigkeit bei gleicher Kompetenz, und zwar im Direktvergleich bei vollbeschäftigten Männern und Frauen. Der Equal Pay Day, der internationale Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern, macht auf diesen nach wie vor bestehenden Gender-Pay-Gap aufmerksam. In Österreich wurde dieser Tag 2023 am 16. Februar erreicht: Frauen arbeiteten damit im Vergleich heuer 46 Kalendertage unbezahlt, verdienen über das Jahr gesehen um 18,9 Prozent weniger als Männer. Dieses Ungleichgewicht muss dringend abgestellt werden. „Arbeit soll unabhängig von Geschlecht und Herkunft entlohnt werden. Gerechte Entlohnung ist ein absolutes Muss“, setzt sich Brigitte Bach, Vorständin der Salzburg AG und bislang einzige Frau im Top-Management der österreichischen Energiebranche, für Frauen ein.

Auf EU-Ebene ist Österreich damit im Vergleich mit den anderen Mitgliedsstaaten auf dem drittletzten Platz und zählt zu den Ländern mit den größten, geschlechtsspezifischen Lohnunterschieden. Ein Blick auf die Pensionen offenbart sogar noch größere Unterschiede: Laut Statistik Austria liegen Frauenpensionen rund 50 Prozent unter jener der Männer – Frauen erhalten in der Pension im Durchschnitt also nur die Hälfte.

Österreich nur Mittelmaß bei Gleichstellung
Auch im aktuellen Gender Equality Index 2022 liegt Österreich mit einem Wert von 68,8 nur im Mittelfeld der EU-Mitgliedsländer. Ein Wert von 100 würde bedeuten, dass ein Land volle Gleichstellung von Männern und Frauen erreicht hat. Der EU-Schnitt liegt bei 68,6. Spitzenreiter ist Schweden mit einem Index von 83,9, aber auch Länder wie Dänemark, die Niederlande, Finnland oder Frankreich landen deutlich vor Österreich. Der Gender Equality Index wird vom 2010 gegründeten Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) herausgegeben. Das EIGE soll die Geschlechtergleichstellung in der gesamten EU stärken und fördern.

Fachkräfte-Mangel als Motor
Die Diskussion wird auch durch den drohenden Fachkräfte-Mangel in der Energiebranche befeuert, denn viele Mitarbeiter:innen werden in den kommenden Jahren in Pension gehen. Die Branche braucht dringend Fachkräfte und kann es sich daher gar nicht leisten, auf „Frauen-Power“ zu verzichten. Daher wurden und werden inzwischen von den heimischen Energieunternehmen eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, um auch mehr Frauen als Mitarbeiterinnen zu gewinnen.

Die Diversitätsbemühungen gehen mit dem Thema Nachhaltigkeit einher – auch hier hat die Gleichstellung und Chancengleichheit ihren Platz gefunden – auch in den Nachhaltigkeitsberichten der heimischen Energieunternehmen. Die Vorgaben sollten sich allerdings dabei nicht nur auf numerische Ziele für die Anzahl der Frauen am Arbeitsplatz konzentrieren. Sie sollten auch Maßnahmen für „neue Wege der Zusammenarbeit“ umfassen – wie etwa einen respektvolleren Umgang miteinander, integrative Meeting-Praktiken oder Flexibilität bei der Frage, wo und wann ein Teil der Arbeit erledigt wird. Jahrelange gezielte Studien zur Geschlechtervielfalt in vielen Branchen haben eines gezeigt: Das Engagement der obersten Führungskraft (beispielsweise des CEO oder Präsidenten) ist der entscheidende Faktor für die Diversifizierung von Unternehmen.

Apropos Geschlecht: Seit Mitte September 2020 gibt es in Österreich sechs Optionen zur Geschlechtseintragung: weiblich, männlich, inter, divers, offen oder „keine Angabe“. Die Branche reagiert darauf aber nur langsam. Bei den Wiener Stadtwerken werden beispielsweise jetzt nur die drei Eintragungsoptionen männlich, weiblich und divers berücksichtigt, immerhin wurde ein „geschlechterinklusiver Sprachgebrauch“ gestartet.

Solarenergieanlage

Aufbruch in die Zukunft – neue Energieformen und Jobs locken auch mehr Frauen an. © Sebastian Ganso auf Pixabay

Diversität ist mehr als Geschlecht
Dem Thema Chancengleichheit werden neben dem Geschlecht seit wenigen Jahren nun auch andere Dimensionen wie etwa Alter, ethnische Herkunft und Behinderung zugeordnet. Damit steigt die Aufmerksamkeit – etwa bei den Wiener Stadtwerken, die in ihrem Nachhaltigkeitsbericht 2021 konkrete Zahlen zu „Vielfalt und Gleichstellung“ präsentieren. Rund 370 Mitarbeiter:innen mit Behinderung weist der Bericht auf, im Vergleich zum Jahr zuvor ist ihre Anzahl um fünf Prozent gestiegen und soll in den nächsten Jahren weiter erhöht werden. Zudem sind Mitarbeiter:innen aus fast 70 Nationen in den Wiener Stadtwerken beschäftigt, was als Mehrwert verstanden wird. „Die persönlichen Geschichten und kulturellen Prägungen der Mitarbeiter:innen bringen vielfältige Kompetenzen und Blickwinkel in unser Unternehmen ein, die es zu fördern und wertzuschätzen gilt“, so der Bericht.

Einzig zum Thema ältere Arbeitnehmer:innen gibt es keine Zahlen, sondern nur pauschalierte Aussagen: „Ältere Mitarbeiter:innen verfügen über wertvolles Organisationswissen, während jüngere Generationen verstärkt aktuelle Entwicklungen und Trends in den Konzern tragen.“ Rund 5.000 Mitarbeiter:innen sollen bei den Wiener Stadtwerken in den kommenden Jahren in Pension gehen – damit sind die Personalist:innen und Recruiter massiv gefordert, diese demografische Entwicklung zu bewältigen. Gleichzeitig ergibt sich dadurch auch eine echte Chance für mehr Chancengleichheit und Vielfalt.

Das sieht auch die Industriellenvereinigung (IV) so, die vor einem drastischen Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften in den Schlüsseltechnologien warnt. IV-Chef Georg Knill betonte Anfang Februar 2023: „Nach wie vor liegt ein großes Potential an weiblichen Fachkräften und älteren Arbeitnehmern brach, das es zu nützen gilt.“

Stellt sich also eigentlich nur noch die Frage, wie lange es dauern wird, bis die Branche dieses Potential auch tatsächlich erkennt und abruft – und damit für echte Chancengleichheit sorgt. Zum Wohle der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – aber auch um ihre Produktivität und Innovationsleistung nachhaltig zu steigern.