Klimafonds
Dossier
Chancengleichheit

Studie
Der Weg ist klar, das Ziel noch weit weg

Wenn es um Chancengleichheit geht – dann ist noch viel zu tun. Das zeigt eine Studie des Austrian Institute of Technology (AIT), die im Auftrag des Klima- und Energiefonds die Energiebranche fokussierte.

Stand: Februar 2023

Gleiche Chancen für alle – das sollte eigentlich selbstverständlich sein. Aber wie steht es aktuell um die Chancengleichheit in der Energiebranche in Österreich und mit welchen praxistauglichen Empfehlungen lässt sie sich gezielt verbessern? Das vom Klima- und Energiefonds beim Austrian Institute of Technology (AIT) beauftragte Projekt „Chancengleichheit in der Energiewende“ suchte auf genau diese Fragestellungen Antworten. Für die Studie wurden sowohl Unternehmensvertreter:innen als auch Mitarbeiter:innen befragt, mithilfe eines diversitätssensiblen Ansatzes wurden umfassende Aspekte von Chancengleichheit untersucht und analysiert. Dabei ist es gelungen, in Co-Creation Workshops mit Unternehmensvertreter:innen und Betroffenen einige Maßnahmen zur Verbesserung von Chancengleichheit abzuleiten. Außerdem hat die Studie Initiativen zur Vernetzung zentraler Akteur:innen aus dem Kontext der Energiewende initiiert. 

Umfassende Bestandsaufnahme und Analyse
Grundlage der Studie war eine thematische Bestandsaufnahme. Für die umfassende Dokumentenanalyse zogen die AIT-Forscher:innen aus dem Center for Technology Experience, Center for Energy und Center for Innovation Systems & Policy unter der Projektleitung von Julia Himmelsbach unter anderem Geschäftsberichte und Nachhaltigkeitsberichte, aber auch Informationen rund um Frauenförderung, Gender-Mainstreaming und Diversity Management sowie Teamdarstellung und Karriereseiten heran.

Studie

Insgesamt wurden Daten von 116 Unternehmen und Organisationen unterschiedlicher Größe aus allen neun Bundesländern analysiert, 46 davon agieren österreichweit, während 73 nur in einem Bundesland tätig sind. Analysiert wurden Dokumente und Reports von Energieversorgern, Netzbetreibern und Interessensvertretungen sowie Innungen, etwa von Landesinnungen der Elektro-, Gebäude-, Alarm- und Kommunikationstechniker:innen sowie von Landesinnungen der Sanitär-, Heizungs- und Lüftungstechniker:innen. In die umfassende Analyse wurden Daten von Kleinunternehmen unter zehn Mitarbeiter:innen bis hin zu Konzernen mit mehr als 10.000 Mitarbeiter:innen einbezogen. Entscheidend war, dass somit alle Unternehmensgrößen berücksichtigt und untersucht werden konnten.

Der über die Dokumentenanalyse sichtbare Frauenanteil in der gesamten Energiebranche liegt bei 24 Prozent. Dabei konnte ein signifikanter Zusammenhang mit der Unternehmensgröße festgestellt werden: Je größer ein Unternehmen ist, desto geringer ist der Anteil weiblicher Beschäftigter. Leitende Jobs sind zumeist noch in Männerhand: Im Top-Management sind laut den Unternehmensberichten durchschnittlich nur noch 10 Prozent Frauen vertreten.

Frauenanteil nach Führungsebene mit Angaben in Prozent. Aufsichtsrat 25% Frauen und 75% Männer. Führungsebene 1 (Top Management) 10% Frauen und 90% Männer. Führungsebene 2 (Middle Management) 13 % Frauen und 87% Männer. Führungsebene 3 (Lower Management) 12% Frauen und 88% Männer.

Je technischer, desto weniger Frauen
In der Unternehmensbefragung zeigten sich deutlich unterschiedliche Geschlechterverteilungen je nach ausgeführter Tätigkeit: Bei kaufmännisch-administrativen Tätigkeiten ist der Frauenanteil am höchsten (61 Prozent) und bei technisch-manuellen Fachkräften am niedrigsten (4 Prozent). Frauen haben weniger Führungspositionen inne und beziehen daher niedrigere Gehälter.

Obwohl in Österreich auch rechtlich die Option eines dritten Geschlechts mit den Bezeichnungen inter, divers oder offen verankert ist, existieren keine Kennzahlen zum Anteil dieser sozialen Gruppe in der Energiebranche. Außerdem zeigt die Dokumentenanalyse, dass auch andere Diversitätsdimensionen, wie beispielsweise Altersgruppen oder Mitarbeiter:innen mit Behinderung, bislang wenig Beachtung finden. Im Allgemeinen fehlt es an der Etablierung von standardisierten Kennzahlen, wie etwa dem Glass-Ceiling-Index, die Vergleiche innerhalb der Branchen und mit anderen Sektoren ermöglichen.

Frauenanteil nach Tätigkeitsprofil mit Angaben in Prozent. Hilfskräfte/Sonstiges 20% Frauen und 80% Männer. Fachkräfte kaufmännisch/administrativ 61% Frauen und 39% Männer. Fachkräfte technisch manuell 4% Frauen und 96% Männer. Fachkräfte technisch nicht manuell 13% Frauen und 87% Männer.

Ja zur gendersensiblen Sprache
Darüber hinaus wurde untersucht, welche Werte bezüglich Chancengleichheit in der Energiebranche kommuniziert und gelebt werden. Die Verwendung von gendersensibler Sprache ist hier bereits weit verbreitet: In zwei Drittel der Dokumente wird eine Form gendersensibler Sprache verwendet. 20 Prozent setzen zumindest punktuell gendersensible Sprache ein. Zum Teil bekennen sich vor allem große Organisationen nach außen explizit zu Werten im Bereich Chancengleichheit. Dabei steht zumeist das Geschlecht im Vordergrund. Ausgesprochen selten werden andere Diversitätsdimensionen wie Alter, Religion, Behinderungen oder Ethnie genannt.

Verwendung gendersensibler Sprache in Unternehmensberichten. Angaben in Prozent. 66% verwendet gendersensible Sprache. 20% Teilweise. 14% generisches Maskulinum.

Diskriminierung kommt häufig vor
Alarmierende Ergebnisse ergab die Frage nach Diskriminierung bei den Mitarbeiter:innen. Fast jede:r Dritte der befragten Mitarbeiter:innen (32 Prozent) musste bereits Diskriminierungen selbst erfahren, hat Diskriminierung beobachtet oder es wurde von Kolleg:innen über einen Vorfall berichtet, ohne dass man selbst involviert war oder etwas gesehen hat. Besonders häufig kam es zu geschlechtsspezifischen Vorfällen (wie etwa sexuelle Belästigung bei 25 Prozent), gefolgt von altersbezogener Diskriminierung (19 Prozent) und Ungerechtigkeiten aufgrund von Elternschaft und Familienstand (17 Prozent). Besonders häufig findet diskriminierendes Verhalten unmittelbar am Arbeitsplatz (60 Prozent) statt. Für alle der insgesamt 16 abgefragten Diversitätsdimensionen gab es Erfahrungen und Vorfälle, die von den Mitarbeiter:innen genannt wurden.

Verteilung von erlebter Diskriminierung. Angaben in Prozent. 32% nehmen Gesamt in irgendeiner Form Diskriminierung wahr. 19% bezogen auf Alter. 15% bezogen auf ihr Äußeres. 12% bezogen auf Herkunft und Nationalität. 9% aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. 9% bezogen auf die soziale Schicht. 25% aufgrund ihres Geschlechts. 17% aufgrund der Elternschaft und des Familienstandes. 13% wegen ihrer Bildung. 10% aufgrund von Ethnizität und Kultur. 7% aufgrund von Betreuungspflicht (zum Beispiel für ältere Angehörige). 7% aufgrund ihrer Religion. 11% wegen Sprache und Akzent. 8% wegen Migrationsbiographie. 8% Race (ethnischer Hintergrund, nicht "weiß" sein). 4% aufgrund ihrer körperlichen Behinderung. 3% aufgrund einer kognitiven Behinderung.
 

                                                                                                                                                                                Um gezielt Maßnahmen-Entwicklungen zu ermöglichen, wurde analysiert, wo diese Situationen auftraten: Ein mittleres Risiko besteht in Räumlichkeiten, die für Pausen oder privaten Austausch vorgesehen sind (37 Prozent), und bei beruflichen Freizeitveranstaltungen. Allerdings sind Weihnachtsfeiern (28 Prozent) ein häufiger „Tatort“. Arbeitsweg sowie private und berufliche digitale Kommunikation sind kaum von Diskriminierung betroffen.

Wo findet Diskrimierung statt? Angaben in Prozent. Arbeitsplatz 60,7%. In Räumlichkeiten am Arbeitsplatz, die für Pausen oder privaten Austausch vorgesehen sind 36,5%. Während beruflichen Freizeitveranstaltungen (zum Beispiel Weihnachtsfeier) 28,2%. Unbekannter Ort 15,8%. Online oder durch Nachrichten über berufliche Kanäle (zum Beispiel E-Mails) 9,8%. Online oder durch Nachrichten über private Kanäle (zum Beispiel WhatsApp) 7,8%. Auf dem Weg zur Arbeit 4%.

                                                                                                                                                                Diversitäts-Bemühungen sind da
Mitarbeiter:innen nehmen aber tendenziell wahr, dass in ihren Unternehmen Diversität geschätzt wird und daran gearbeitet wird, Diskriminierungen zu beseitigen. Die Unternehmen sehen dabei insbesondere Maßnahmen zur Förderung der Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Privatleben als für die Herstellung von Chancengleichheit relevant an. In diesem Bereich wurden neben Maßnahmen in Rekrutierungsprozessen und Nachwuchsförderung auch besonders häufig gezielt Schritte gesetzt.

Fazit und Ausblick
Der Anteil an Frauen in der Energiebranche, insbesondere in Führungspositionen, liegt im Vergleich zu anderen Branchen auf niedrigem Niveau. Diversität und Gleichbehandlung sowie sprachliche Repräsentation haben immerhin bereits symbolischen Wert. Es fehlt jedoch nach wie vor an etablierten Monitoring-Maßnahmen sowie konkreteren Zielen, die auch nach außen kommuniziert werden.

Für die Zukunft wird relevant, hier nicht nur auf Frauen einzugehen, sondern auch auf Personen, die sich als inter/divers/offen definieren, sowie auch andere Dimensionen der Chancengleichheit, wie Menschen mit Behinderung oder Alter zu berücksichtigen. Organisationen setzen vor allem im Bereich Rekrutierung und bei der Nachwuchsförderung Maßnahmen und Mitarbeiter:innen nehmen dieses Engagement tendenziell auch wahr.

Kontinuierliches Monitoring
Das Thema Diskriminierungen sollte von Unternehmen mehr ernst genommen werden, hier sollten Gegen-Maßnahmen gesetzt werden, damit inklusive Organisationskulturen entstehen, die nachweislich sowohl dem Wohlbefinden der Mitarbeiter:innen, wie auch der Produktivität und dem Innovationspotentialen von Organisationen zugutekommen. Um die Entwicklung und Veränderungen beim Thema „Chancengleichheit“ zu beobachten, wird von den Studienautor:innen empfohlen, eine kontinuierliche Beobachtung beziehungsweise Studie im Intervall von zwei Jahren sowohl branchenweit als auch unternehmensintern durchzuführen. Einerseits, um Vergleichsdaten zu erheben und andererseits als Anstoß für Veränderungen hin zu mehr Chancengleichheit in der Energiebranche.

Hier geht es zum Endbericht der Studie „Chancengleichheit in der Energiewende“.