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Blackout

Thema
Wenn es plötzlich finster wird

Stromausfälle sind in Österreich glücklicherweise selten. Trotzdem warnen ExpertInnen vor einem bevorstehenden Blackout. Aber was ist damit überhaupt gemeint und was hat erneuerbarer Strom aus Wind und Sonne damit zu tun? Eine Spurensuche.

Stand: Dezember 2020

Schuld waren einige morsche Äste, die auf eine 380-Kilovolt-Leitung in der Nähe des Vierwaldstättersees in der Schweiz gefallen waren. Nicht mehr als ein kleines Hoppala im europaweiten Stromnetz, könnte man meinen. Ein Problem, das bestenfalls beim alarmierten Störtrupp für hektische Betriebsamkeit sorgen sollte. Aber weit gefehlt! Der Ausfall dieser wichtigen Nord-Süd-Leitung über den Lukmanierpass führte zu einer Überlastung weiterer Leitungen, über die Strom nach Italien transportiert wird. Als Resultat dieser Kettenreaktion ging von einem Moment auf den anderen auf der ganzen Apenninenhalbinsel das Licht aus. Von Nord nach Süd, von den Alpen bis Sizilien wurde es in Italien plötzlich finster. Nur in Sardinien gab es weiter Strom: Die Insel ist über Korsika zwar an das italienische Netz angeschlossen, das Gleichstrom-Seekabel war zum Zeitpunkt der Störung allerdings nicht eingeschaltet.

Skyline in der Nacht

Die Stromversorgung in Europa funktioniert prinzipiell gut – ein überregionaler Blackout ist trotzdem nicht auszuschließen. © AdobeStock

Dass das ganz große Chaos ausblieb, lag an der Jahreszeit, am Wochentag und an der Uhrzeit. Die elektrischen Wecker in vielen Schlafzimmern waren an diesem Sonntagmorgen Ende September 2003 gerade auf 3.27 Uhr gesprungen, als die Zahlen auf der Anzeige plötzlich erloschen. Die meisten der 57 Millionen betroffenen Italiener haben den Beginn des größten Stromausfalls in der Geschichte ihres Landes und ganz Europas also schlichtweg verschlafen. Sie bemerkten erst morgens beim Frühstück, dass irgendetwas nicht stimmt. Radio und TV ließen sich nicht einschalten, Verkehrsampeln funktionierten nicht, der Bäcker ums Eck blieb geschlossen, Handys fanden kein Netz.

Stromausfälle haben Infrastrukturausfälle zur Folge
„Italien hatte Glück im Unglück“, blickt Herbert Saurugg, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Krisenvorsorge auf die damaligen Ereignisse in unserem Nachbarland zurück. „Man darf sich gar nicht vorstellen, welche Auswirkungen es gehabt hätte, wäre der Strom mitten an einem Werktag bei Minustemperaturen im Winter ausgefallen.“ Millionen Haushalte wären plötzlich ohne Heizung gewesen, Hunderttausende Menschen in U-Bahnen und Zügen, in Fahrstühlen, auf Sesselliften oder in Bergbahnen festgesessen. Der Verkehr wäre mitten in der Rushhour zum Erliegen gekommen, Supermärkte hätten schließen müssen und selbst auf vielen Bauernhöfen wäre nichts mehr gegangen. Ohne Strom stellen Melkmaschinen und Futterroboter den Betrieb ein, Mistschaber stehen still. „Ein großflächiger Stromausfall ist das eine“, erklärt Saurugg. „Das viel größere Problem sind aber die dadurch ausgelösten Infrastrukturausfälle und weitreichenden Versorgungsunterbrechungen, die sich verstärken, je länger der Strom wegbleibt, und die nicht auf eine Region oder ein Land beschränkt bleiben müssen. Unsere Systeme sind heute so eng miteinander verbunden, dass sich Stromausfälle in einem Land leicht auch auf andere Länder und sogar weite Teile des Kontinents auswirken können.“ Die Rede ist dann von einem sogenannten Blackout.

Satellitenbild Stromausfall Italien

Einer der größten Blackouts der vergangenen Jahrzehnte: Am 28. September 2003 ging in fast ganz Italien das Licht aus. © beigestellt

Das europäische Stromversorgungssystem
Dazu muss man wissen: Nicht immer erzeugen Länder in Europa so viel Strom, wie sie gerade benötigen. Ein Verbundsystem sorgt aber dafür, dass ein auftretender Bedarf stets mit Überschüssen aus anderen Ländern abgedeckt werden kann, eigene Kapazitäten werden wiederum ins kontinentale Netz abgegeben. Ein komplexes System aus über- sowie untergeordneten Leitungen und Schaltstellen stellt die Verteilung sicher, auf Basis von Wechselstrom gilt es, Erzeugung und Verbrauch permanent in Balance zu halten. Wird weniger Strom verbraucht als produziert, so steigt die Frequenz über das für die europäische Systemstabilität notwendige Niveau von 50 Hertz. Wird hingegen mehr verbraucht als produziert, so sinkt sie darunter. Schon bei geringsten Abweichungen sind die Netzbetreiber gefordert: Sie müssen entweder die Leistung von Kraftwerken hoch- oder herunterfahren, einzelne Kraftwerke überhaupt vom Netz nehmen, oder schlimmstenfalls gezielt in bestimmten Gebieten vorübergehend den Strom abschalten.

Einige österreichische Kommunen haben in den vergangenen Jahren – auch mit Unterstützung des Klima- und Energiefonds – bereits wichtige Schritte in Richtung Blackout-Vorsorge gesetzt und in Backup-Systeme investiert.

So weit, so gut. Wie kann aber nun der Ausfall einer einzigen Leitung wie 2003 die Versorgung eines ganzen Landes gefährden? Am besten stellen wir uns dazu das Bild einiger miteinander verbundener Becken (stehen für Versorgungsgebiete) vor, die ausgehend von wenigen Zuflüssen (die Kraftwerke) mit Wasser (Energie) befüllt werden. Das Wasser verteilt sich über die Leitungen gleichmäßig, alle Becken werden versorgt. Blockieren wir allerdings einzelne Verbindungen, dann strömt umso mehr Wasser zu den anderen Leitungen, die damit aber möglicherweise an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen. Folge davon: Die Verteilung gerät aus der Balance, das Wasser steigt in einigen Becken schneller als in anderen, die Versorgung mancher Becken ist gefährdet oder gar nicht mehr möglich. Bleibt eine Reaktion auf dieses Ungleichgewicht aus, indem etwa die Menge des nachfließenden Wassers reduziert oder die Verbindung wiederhergestellt wird, droht auch der Ausfall weiterer Leitungen. Der Druck auf die übrigen Verbindungen erhöht sich noch mehr, das System kollabiert.

Kleine Ursachen, große Wirkung
Gleich mehrere Beispiele aus der Vergangenheit zeigen: Es braucht oft erschreckend wenig, um eine solche Kettenreaktion anzustoßen und das Stromnetz aus der Balance zu bringen. 2008 etwa löste in der Schweiz ein Eichhörnchen einen Kurzschluss und schwarze Bildschirme bei vielen Fernsehzuschauern aus. Aus Sicherheitsgründen hatte sich infolge des tierischen Missgeschicks ein Transformator in einem Unterwerk im Norden von Zürich selbstständig ausgeschaltet und damit den umliegenden Stadtteil inklusive dem Studio Leutschenbach des Schweizer Fernsehens vom Netz genommen. In Deutschland wiederum knickten 2005 nach heftigen Schneefällen und einem Eisregen zahlreiche Strommasten ein, rund 250.000 Menschen waren teilweise tagelang ohne Elektrizität und in Athen sorgte 2004 knapp einen Monat vor den Olympischen Spielen ein sogenannter Spannungskollaps für einen stundenlangen Stromausfall.

Strommasten im Sonnenuntergang

Das europäische Verbundsystem ist ein komplexes Netz aus über- und untergeordneten Leitungen und Schaltstellen zur Verteilung von elektrischer Energie. © Matthew Henry on Unsplash

Neben technischen Gebrechen, Umwelteinflüssen und menschlichem Versagen gehören auch Terroranschläge und Hackerangriffe zu potenziellen Blackout-Auslösern. In Pakistan beispielsweise schnitten Rebellen 2015 insgesamt 140 Millionen Menschen für 24 Stunden von der Stromversorgung ab, indem sie einen systemrelevanten Übertragungsmasten sprengten, und Marc Elsberg schildert in seinem 2012 erschienenen Buch „Blackout – Morgen ist es zu spät“ eindrücklich die möglichen Folgen eines Hackerangriffs auf das europäische Energiesystem. Schon nach kurzer Zeit tun sich existenzbedrohende Versorgungslücken auf, es gilt das Recht des Stärkeren, der Kontinent versinkt im Chaos. Herbert Saurugg erklärt: „Unsere Gesellschaft ist auf einen solchen Katastrophenfall nicht vorbereitet. Studien zeigen, dass bei einer weitreichenden Versorgungsunterbrechung bereits am Ende der ersten Woche rund zwei Drittel der Bevölkerung nicht mehr in der Lage wären, sich selbst ausreichend zu versorgen.“

Herausforderungen für das Energiemanagement steigen
Über die Frage, ob uns in den kommenden Jahren tatsächlich ein derartiges Szenario drohen könnte, sind sich die ExpertInnen allerdings uneins. Während Kurt Misak, Leiter Sachgebiet Versorgungssicherheit bei der Austrian Power Grid AG – dem Betreiber des österreichischen Übertragungsnetzes – das Risiko aktuell „relativ gering“ („Die Gefahr ist aus heutiger Sicht relativ gering“) einschätzt und Microgrid-Fachmann Michael Stadler („Regionale Lösungen für das Blackout-Problem!“) die Eintrittswahrscheinlichkeit in Europa auf einer Skala von eins (kein Risiko) bis zehn (höchstes Risiko) mit fünf bewertet, ist für Herbert Saurugg die Gefahr deutlich präsenter. Auch in den Risikoanalysen des Bundesheeres rangiert die Möglichkeit eines überregionalen Stromausfalls seit Jahren ganz weit oben. Es sei in diesem Fall mit „schwersten Schädigungen der Infrastruktur, der Wirtschaft, des öffentlichen Lebens und der Bevölkerung“ zu rechnen, heißt es in der „Sicherheitspolitischen Jahresvorschau 2020“ des Heeres.

Wo sich hingegen die meisten Fachfrauen und -männer einig sind: Die Herausforderungen für das Energiemanagement sind in den letzten Jahren massiv gestiegen. Das System der Vergangenheit war von zentraler konventioneller Erzeugung weniger Großkraftwerke basierend auf fossiler Energie geprägt, heute speisen parallel dazu aber auch Zehntausende Windkraftanlagen und Millionen Photovoltaik-Anlagen ihre volatil erzeugten – und daher nur ungenau zu prognostizierenden – Energiemengen ins Netz. Aus Klimaschutzperspektive ist die steigende Vielfalt und Dezentralisierung natürlich zu begrüßen, gleichzeitig steigt damit aber die Komplexität eines ohnehin bereits sensiblen Systems. Um im Bild unseres „Wasserbecken-Beispiels“ zu bleiben: Wurden früher nur an wenigen Stellen gleichbleibende Mengen Wasser zugeleitet und auf alle Becken verteilt, so weisen heute praktisch alle Becken große und kleine Zuleitungen auf, über die mal mehr und mal weniger Wasser fließt, oder die vorübergehend (denken wir etwa an Photovoltaik-Anlagen nach Sonnenuntergang) sogar ganz versiegen. Um eine Über- oder Unterversorgung einzelner Bereiche zu verhindern, müssen Netzbetreiber daher deutlich mehr Faktoren im Auge behalten und regeln, Durchflussmengen steuern und regulieren. Damit steigen die Anforderungen und Risiken. Daher gilt es dieses Resilienz-Potenzial in den kommenden Jahren durch smarte Steuerungen, zelluläre Strukturen (beispielsweise Microgrids), Möglichkeiten zur Energiespeicherung und viele weitere Maßnahmen verstärkt nutzbar zu machen. Ziel muss es sein, die großräumige Ausbreitung von Störungen zu verhindern und die Versorgung auch dann sicherzustellen, wenn wichtige Zuflüsse – wir erinnern uns an den Ausfall der Leitung über den Lukmanierpass, der fast ganz Italien vom Netz nahm – vorübergehend ausfallen. „Dabei ist es im Ernstfall nicht unbedingt notwendig, das gesamte System weiter mit Energie zu versorgen“, so Microgrid-Experte Michael Stadler („Regionale Lösungen für das Blackout-Problem!“). „Es ist schon viel geholfen, wenn Polizei, Krankenhaus und Feuerwehr sowie andere wichtige Einrichtungen wie das Rathaus weiterbetrieben werden können und Wohnungen über eine Notwärmeversorgung verfügen.“

Kerzen und Uhr

Um für einen Blackout bestmöglich gerüstet zu sein, sollte jeder Haushalt ausreichend Vorräte zu Hause haben. Dazu gehören haltbare Lebensmittel und Trinkwasser, aber auch Medikamente sowie Licht- und Energiequellen. © Pixabay

Nachholbedarf bei der Blackout-Vorsorge
Einige österreichische Kommunen haben in den vergangenen Jahren – auch mit Unterstützung des Klima- und Energiefonds – bereits wichtige Schritte in diese Richtung gesetzt und in Backup-Systeme investiert. Sie haben etwa die Energieversorgung von Wasserpumpen auf Photovoltaik-Stromspeicher-Kombinationen umgestellt und Stromspeicher als wichtige Notfallvorsorge-Bausteine erkannt. Auch einige vom Klima- und Energiefonds geförderte Projekte, die in diesem Dossier vorgestellt werden, zielen auf die Erhöhung der Versorgungssicherheit und die Krisenresilienz des (lokalen) Energiesystems ab: Im Projekt „Urbane Speichercluster Südburgenland“ beispielsweise wurde in der burgenländischen Gemeinde Ollersdorf ein eineinhalb Tonnen schwerer Salzwasserspeicher realisiert. Dieser hält die Energie aus Photovoltaikanlagen vor und stellt sie im Fall einer Versorgungslücke den wichtigsten Einrichtungen der Gemeinde zur Verfügung.

Für Experte Herbert Saurugg müssen Firmen, Behörden und öffentliche Institutionen aber noch viel mehr tun, um sich auf einen potenziellen Blackout vorzubereiten. „Die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie anfällig unsere Gesellschaft für Elementarereignisse ist. Allerdings konnten wir uns darauf zumindest einige Wochen vorbereiten, bei einem Blackout gehen hingegen ohne Vorankündigung von einem Moment auf den anderen die Lichter aus. Trotzdem existieren dafür wenige Notfallpläne und diese konzentrieren sich viel zu oft nur auf das Offensichtliche. Was hilft es einem Krankenhaus aber, wenn es dank eines Notstromaggregats weiter über Strom verfügt, aber schon am zweiten Tag eines Blackouts keine Versorgung mit Wasser mehr gegeben ist und bestimmte Medikamente nicht mehr nachgeliefert werden können, weil die Logistik zusammenbricht?“

Gut gerüstet für den Ernstfall?
Wichtig, um für einen potenziellen Blackout gerüstet zu sein, ist in jedem Fall die individuelle Vorsorge. Für den Ernstfall gut gerüstet zu sein, heißt, ausreichende Vorräte für die ganze Familie über einen Zeitraum von zumindest zwei Wochen zu Hause zu haben: Wasser, haltbare Lebensmittel (Konserven, Nudeln, Reis, Trockenfrüchte, Sauerkraut, …), einfache Licht- und Energiequellen wie Taschenlampen und Batterien, notwendige Medikamente sowie Erste-Hilfe-Materialien. Teil der Eigenvorsorge sollten außerdem dringend benötigte Hygieneartikel (Toilettenpapier, Binden, Tampons, Müllsäcke als „Ersatz-WC“, …), ein Radio mit Batterie oder Kurbel-Dynamofunktion (notfalls kann man auch auf das Autoradio ausweichen, das über die Fahrzeugbatterie mit Energie versorgt wird) sowie ein Gaskocher zur Zubereitung warmer Speisen sein. Eine Checkliste, die bei der Zusammenstellung des eigenen Basisvorrats hilft, stellt etwa der Österreichische Zivilschutzverband zur Verfügung. Unabhängig davon kommt im Ernstfall regionalen Institutionen zur Nachbarschaftshilfe große Bedeutung zu: Wenn von einem Blackout große Teile Europas betroffen sind, wird es keine Hilfe von außen geben. Ein solches Szenario kann daher nur auf der lokalen Ebene bewältigt werden. In der Familie, in der Nachbarschaft und in der Gemeinde.

Italien kam 2003 übrigens vergleichsweise glimpflich davon. Die Wirtschaft beklagte zwar einen Millionenschaden und viele Tiefkühlprodukte mussten entsorgt werden, weil die Kühlkette unterbrochen war. Aber schon gegen Mittag lief die Versorgung in den Städten im Norden wieder an. Später kehrte der Strom dann auch nach Rom und in den Süden des Landes zurück. Aber wer garantiert, dass das beim nächsten Mal auch so sein wird? Der Strom könnte theoretisch auch für mehrere Tage wegbleiben …