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Blackout

Interview
„Regionale Lösungen für das Blackout-Problem!“
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Zur Person

Michael Stadler ist technischer Geschäftsführer des kalifornischen Start-ups XENDEE Corporation und zugleich Key Scientist bei der Bioenergy and Sustainable Technologies (BEST) GmbH in Österreich, wo er den Bereich Smart- und Microgrids erfolgreich aufgebaut hat. Davor war er Leiter der Forschungsgruppe Netzintegration am Lawrence Berkeley National Laboratory der Universität Berkeley in Kalifornien.

„Wir haben durchaus Probleme und Instabilitäten, aber im Vergleich zum amerikanischen System ist die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts in Österreich und in Europa doch überschaubar.“

Der österreichische Wissenschaftler und Unternehmer Michael Stadler wurde 2013 für seine Microgrid-Forschungen von US-Präsident Barack Obama ausgezeichnet. Wir haben ihn an seinem Wohnsitz in Kalifornien für ein Gespräch über „Rolling Blackouts“, redundante Stromkreise und ausfallsichere Insellösungen erreicht.

Stand: Dezember 2020

Herr Stadler, wie hoch würden Sie auf einer Skala von 1 (kein Risiko) bis 10 (extremes Risiko) die Gefahr eines Blackouts in Europa bewerten?
Gesamteuropäisch liegt die Gefahr wohl irgendwo in der Mitte, ich würde sagen bei fünf. Wir haben durchaus Probleme und Instabilitäten, aber im Vergleich zum amerikanischen System ist die Wahrscheinlichkeit eines Blackouts doch überschaubar.

Das heißt, in den USA ist das Risiko höher?
In jedem Fall. Es gibt zwar auch stabilere Regionen, für das ganze Land würde ich die Gefahr aufgrund der veralteten Infrastruktur aber mit acht bewerten und hier in Kalifornien sogar mit zehn. Bei Waldbränden, Unwettern oder großer Hitze kommt es immer wieder zu kleineren und größeren Blackouts und um einen Kollaps des Systems zu verhindern, sind des Öfteren auch Stromabschaltungen notwendig. Die Rede ist dann von „Rolling Blackouts“. Diese Problematik ist auch der Grund, warum hier die Entwicklung von Microgrids so forciert wird.

Zur Erklärung: Microgrids sind kleine, in sich geschlossene Netze, die Erzeuger und Verbraucher einschließen und sich bei Bedarf vom übergeordneten Netz abkoppeln können. Sie funktionieren daher auch im Falle eines großflächigen Stromausfalls, oder?
Ja, wobei vor allem die regionale Zuordnung wichtig ist. Der Ansatz funktioniert nicht über Hunderte Kilometer hinweg, sondern nur, wenn sich Erzeuger und Verbraucher räumlich nahe sind. Wie Sie richtig sagen, sollen Microgrids letzten Endes isoliert vom übergeordneten Netz betrieben werden können. Dafür braucht es spezielle Technologien, die Netzprobleme automatisch erkennen, das Microgrid bei Bedarf entkoppeln und hinterher wieder synchronisieren. Der Trend geht auch ganz klar in diese Richtung, aktuell sind die meisten Microgrids aber noch netzgebunden. Sie gehen daher bei einem Blackout im umliegenden Gebiet mit in die Knie.

Bild Microgrids

Microgrids sind kleine, in sich geschlossene Netze, die Erzeuger und Verbraucher einschließen und sich bei Bedarf vom übergeordneten Netz abkoppeln können. © AdobeStock

Sie haben die räumliche Nähe erwähnt: Wie groß oder klein kann oder muss ein Microgrid aufgebaut sein, damit es funktioniert?
Das kann ein einzelnes Gebäude, ein Uni-Campus, ein kleinerer Stadtteil oder sogar eine ganze Ortschaft sein – vorausgesetzt die Energie kann regional getauscht und die Anknüpfungspunkte zum übergeordneten Netz können miteinander koordiniert werden. Bei einem Haus ist das einfach, da hat man eine Netzübergabestelle. Bei Ortschaften und Stadtteilen mit Dutzenden oder Hunderten Übergabestellen ist das schon schwieriger, da ergeben sich dann auch organisatorisch und abrechnungstechnisch ganz andere Schwierigkeiten. Zudem sind die notwendigen Kapazitäten dann deutlich mühsamer aufzubauen.

Sie meinen damit Energiequellen und Speicher, die schlussendlich den autarken Betrieb erst möglich machen?
Genau. Da sehen die Planungen natürlich anders aus, wenn ich nur einen Haushalt versorgen will oder 5.000 Menschen. Das jeweilige Umsetzungskonzept hängt auch davon ab, ob ich bei einem Blackout eine Versorgung für drei Tage, eine Woche oder möglicherweise sogar zwei Wochen aufrechterhalten möchte und ob ich in der Zeit eine Vollversorgung brauche, oder ich mich auf eine Teilversorgung und wenige Gebäude beschränke.

Eine Konzentration auf systemrelevante Einrichtungen?
Ich bin hier in den USA in Massachusetts gerade in ein Projekt auf einer Insel involviert, bei dem es genau darum geht. Im Fall eines Hurrikans oder eines Blackouts sollen Polizei, Feuerwehr, Gemeindezentrum, Bibliothek und andere wichtige Gebäude weiter mit Energie versorgt werden und für die Bevölkerung als Schutzräume zur Verfügung stehen. Das ist natürlich deutlich kosteneffizienter und auch leichter mit Speichern und erneuerbaren Energien zu realisieren, als würde ich auf eine Vollversorgung des gesamten Gebiets abzielen, die aktuell über längere Zeiträume eigentlich nur mit Dieselgeneratoren (oder Biodiesel/Biogas) wirtschaftlich darstellbar ist. Natürlich ist es eine Wunschvorstellung, dass man 14 Tage nur mit Photovoltaik, Kraft-Wärme-Kopplung und elektrischen Speichern überbrücken kann, in der Praxis ist das aber derzeit aus Kostengründen eher unrealistisch.

Bild Blitz

Neben Naturkatastrophen und Unwettern können Blackouts auch durch Terroranschläge, Hacker-Angriffe oder durch menschliches Versagen ausgelöst werden. © Max LaRochelle on Unsplash

Ist diese Fokussierung auf kritische Infrastrukturen und einige wenige Gebäude aus ihrer Sicht eine effektive Blackout-Vorsorge?
Das ist zumindest ein sehr guter Ansatz. Alles andere ist unverhältnismäßig teuer, da schießt man mit Kanonen auf Spatzen. Will man einen Schritt weitergehen, könnten die Risiken in Häusern beispielsweise dadurch abgefedert werden, dass man sie mit einem zweiten Stromkreis versieht, der an einer Batterie hängt und nur für Kühlgeräte und Heizungssysteme genutzt wird – das genügt für einen Notbetrieb. Wenn man dann die Netze auch noch so aufbaut, dass sie sich vom übergeordneten System abkoppeln können, lassen sich großflächige Dominoeffekte schon im Ansatz verhindern. Ein potenziell kontinentales Problem wie ein Blackout wäre damit regional lösbar.

In Österreich tut sich in diese Richtung aber nur wenig, oder?
Es gibt ein paar Initiativen und Versuche, im Rahmen eines Forschungsprojekts bauen wir in Wieselburg aber gerade das erste Microgrid Österreichs auf.

Warum ist das Thema bei uns noch nicht präsenter?
Weil unser Netz grundsätzlich ganz gut funktioniert und wir nicht die Probleme wie beispielsweise Kalifornien haben. Zudem ist das Netz schon bis hoch zur letzten Berghütte ausgebaut, da gibt es wenig Argumente für Investitionen in Alternativen. Das ist in weiten Teilen Afrikas, Asiens und sogar in manchen Gebieten Australiens anders. Dort gibt es schlichtweg keine vorhandenen Netze, was auch der Grund ist, warum zelluläre Systeme dort derzeit boomen. Es ist weit effizienter, in abgelegenen Gebieten Insellösungen zu schaffen, als dort über viele Kilometer hinweg teure Leitungen zu bauen. Stand 2018 hatten wir weltweit rund 2.300 Microgrids in Betrieb, 2019 waren es bereits 4.475 und von 2020 bis 2024 ist mit einer weiteren Verdoppelung zu rechnen.

Wie breit muss ein Microgrid aufgestellt sein, damit es funktioniert und zur Blackout-Vorsorge beiträgt? Was muss es in jedem Fall umfassen?
Das ist wie zuvor schon gesagt von Fall zu Fall unterschiedlich und immer von den Gegebenheiten vor Ort, den Zielvorgaben, den zur Verfügung stehenden Ressourcen und der Frage abhängig, ob ich Grid-connected oder komplett isoliert sein will. Ein Dieselgenerator ist wie erwähnt das einfachste, um eine Blackout-Phase zu überbrücken, aber was mache ich damit, wenn es jahrzehntelang keinen Blackout gibt? Da ist dann möglicherweise ein Speicher mit Photovoltaik doch wieder zu favorisieren, der lässt sich durch den regulären Betrieb finanzieren, wenn man ihn für Tarif- und Kostenmanagement einsetzt.

Im Idealfall erhöht man mit Microgrids also die Versorgungssicherheit und trägt gleichzeitig zum Energiewandel bei?
Wenn man das intelligent aufsetzt, dann lassen sich beide Ziele erreichen, ja. Der Idealfall wäre, wenn mir die verwendeten Technologien im Alltag dabei helfen Kosten zu sparen, weil man etwa weniger Energie zukaufen muss, und im Bedarfsfall für bestimmte Zeiten zur Überbrückung dienen.

Könnte es sein, dass sich durch zelluläre Systeme irgendwann das Geschäft der Energieversorger verschiebt? Braucht man Energieversorger dann überhaupt noch?
Ich glaube nicht, dass sie verschwinden werden, aber sie werden definitiv andere Aufgaben managen müssen. Der klassische Bereich des Energieverkaufs wird schon jetzt durch die vielen Photovoltaik- und Windkraftanlagen sowie Speicher immer unwichtiger. Die Energieversorger reagieren auf diese Entwicklung auch teilweise mit höheren Netzkosten, was allerdings für Private die dezentrale Erzeugung und Speicherung noch wirtschaftlicher macht. In Kalifornien kostet die Kilowattstunde Strom beispielsweise in San Diego mittlerweile mehr als 50 Cent und damit mehr als doppelt so viel wie in Österreich. Kein Wunder, dass Speicher dort mittlerweile sehr gefragt sind und so dimensioniert werden, dass man das große Netz gar nicht mehr benötigt.

Ist eine ähnliche Entwicklung auch für Österreich denkbar?
Das ist von vielen Faktoren abhängig. Aktuell werden in Österreich erneuerbare Energien zu großen Teilen zentral erzeugt, was eine Abkehr von den Netzen schwierig macht. Allerdings führt diese zentrale Erzeugung zu einer großen Belastung, die nicht notwendig wäre, wenn man eine kleinteiligere und dezentrale Produktion unterstützen würde. Aus meiner Sicht sollte man daher verstärkt auf lokale Energiemärkte und lokalen Energieaustausch setzen – damit könnte die Blackout-Gefahr deutlich gesenkt werden.